Zur Liebe verführt: Roman (German Edition)
wünschte, der Mond würde sich zeigen und die Sicht verbessern, doch die heute eingetroffene Warmfront schuf eine dicke Nebeldecke – was bedeutete, dass ihr Eindringling auch nichts mehr sehen konnte.
Mit dem Daumen auf der Sicherung schlich Anna die Seitenfront entlang und nutzte vertraute Bäume, um sich zum Ufer vorzuarbeiten, um sodann vom See aus das Küchenhaus zu erreichen. Da der schmelzende Schnee nicht unter ihren Füßen knirschte, war sie unbesorgt, dass man sie hören
könnte, doch beflügelte der dichte Nebel ihre Fantasie. Jeder kleinste Schatten, den sie nicht sofort erkennen konnte, ließ sie zusammenzucken.
Als wieder ein lauter Krach aus dem Küchenhaus ertönte, suchte sie sofort hinter einem großen Felsblock Deckung und verharrte dort reglos. O Gott, was machte sie hier eigentlich? »Mut bedeutet, dass man trotz seiner Angst handelt«, flüsterte sie. »Ich werde diese Waschbären so heftig erschrecken, wie sie mich erschreckt haben.«
Wenn sie aber auf einen Zweibeiner traf? Was gedachte sie dann zu tun? Den Mann mit der Waffe im Anschlag zum Haus bringen und den Sheriff anrufen?
Nein, sie würde ihn nur fragen, was zum Teufel er hier suchte, und sobald sie die Antwort bekam, würde sie ihm tüchtig ihre Meinung sagen und ihn mit der Warnung von ihrem Grundstück weisen, sie würde sofort schießen und keine Fragen stellen, sollte er sich jemals wieder blicken lassen. Ein Warnschuss über seinen Kopf hinweg würde ihm zeigen, dass sie es ernst meinte.
Ein wenig beherzter, da sie nun einen Plan hatte und fünf Runden Vogelschrot, bewegte Anna sich das Ufer entlang und erstarrte abermals, als sie auf dem See einen großen dunklen Schatten entdeckte. Mit angehaltenem Atem lauschte sie und wartete, der Schatten aber rührte sich nicht und gab keinen Laut von sich. Leise schlich sie näher und spürte den scharfkantigen Übergang vom Ufer zum See unter den Füßen, als sie auf Eis trat.
Der große Fleck blieb unverändert, als sie näher kam, und nahm langsam eine Form an, die sie schließlich erkannte. Anna atmete auf. Ein Motorschlitten. So also hatte ihr Eindringling
von ihr unbemerkt kommen und gehen können; er war über den See gekommen und zu Fuß weitergegangen.
Darauf bedacht, kein Geräusch zu machen, hob Anna die Motorabdeckung, fasste nach dem Zündkabel und zog es ab, so dass der Schlitten nicht anspringen konnte. Dann schloss sie die Motorhaube und lief ans Ufer, wobei sie sich im Geist auf die Schulter klopfte, weil es ihr gelungen war, den Störenfried seiner einzigen Fluchtmöglichkeit zu berauben.
Mit jedem Schritt wuchs ihr Mut, so dass sie kaum erschrak, als wieder ein lauter Krach, diesmal gefolgt von einem menschlichen Fluch, im Küchenhaus ertönte. Sie konnte kaum den schwachen Strahl einer Taschenlampe ausmachen, der sich im Inneren bewegte, doch als sie Geflüster hörte, überdachte Anna ihren Plan. Waren es zwei Eindringlinge? Vielleicht sollte sie zuerst schießen, um sich Aufmerksamkeit und sofortigen Respekt zu verschaffen, und erst dann Fragen stellen?
Leise schob sie den Lauf ihrer Flinte durch eines der zerbrochenen Fenster, richtete ihn gegen das Dach und schob die Sicherung auf, dann stützte sie den Kolben der Waffe gegen ihre Schulter und drückte ab. Der Schuss war ohrenbetäubend, der Rückstoß schmerzhaft, doch war sie auf beides gefasst. Nicht gefasst war sie freilich auf den großen harten Körper, der gegen ihre Seite schlug.
Anna verdrehte sich, rammte ihren Ellbogen gegen seinen Kopf und stieß den Gewehrkolben in die Rippen ihres Angreifers. Noch ehe er zu Atem kam, war sie auf den Beinen und ließ ihre Waffe auf seine Schultern sausen, als er sich auf ein Knie rollte. Mit schmerzlichem Stöhnen ging er wieder zu Boden, und Anna schwankte, ob sie ihm noch
einen Hieb versetzen oder wie der Teufel ins Haus laufen sollte, als sie schwere Schritte in dem mit Gerümpel zugeräumten Küchenhaus hörte.
Mit ihrem ganzen Gewicht trat sie den Kerl vor sich, der wieder aufstehen wollte, rannte um das Haus herum, um die Flüchtenden abzulenken. Sie liefen nicht zum See, sondern direkt zur Straße, die aus dem Camp hinausführte. Anna schulterte ihr Gewehr, feuerte eine Runde über ihre Köpfe ab und setzte ihnen nach, als diese erstaunt aufschrien und noch schneller liefen.
Sie verlor sie im Nebel aus den Augen, stolperte aber weiter auf dem Weg, der zur Hauptstraße führte, da sie vermutlich dorthin flüchteten – während ihr
Weitere Kostenlose Bücher