Zurück ans Meer
begierig
wie ein Kind, an allem teilzuhaben. Als ich herkam, war ich mir sicher, dass ich, um mit dem Theologen Fredrick Buechner zu
sprechen, »allein überleben, allein wachsen, sogar allein obsiegen« könnte, doch auch ich konnte am Ende nicht »auf mich selbst
gestellt menschlich werden«, wie er es ausdrückt. Dafür werde ich immer die zufälligen Geschenke brauchen, die mir Fremde
am Wegesrand zuteil werden lassen.
Es beginnt zu tröpfeln, und ich bin bettreif. Ich gehe durch die dunkle Straße zu meinem Cottage und weiß, dass ich nun in
die richtige Richtung stolpere.
Um sechs Uhr klingelt der Wecker, und ich bin knapp zwanzig Minuten später aufbruchbereit und aus dem Cottage. Einige Leute
eilen bereits zum Kai, ziehen Koffer hinter sich her, aber ich trödele noch und genieße meine Einsamkeit. Der Abschied von
der Insel ist eine Herausforderung. »Wir müssen uns der unbekannten Zukunft stellen, indem wir alles zur Geltung bringen,
dem wir in der Vergangenheit Form verliehen haben«, sagte der irische Schriftsteller John O’Donohue.Für mich wird die unmittelbare Zukunft zweifellos vom Geist Ionas geformt sein. Ich bin hier mit hart erkämpften äußeren Stärken
angekommen, fahre aber mit unschätzbaren inneren Stärken wieder ab – Bescheidenheit, Geduld, Gnade, Klarheit und Integrität,
um nur einige zu nennen. Jeden Tag hier habe ich voll gelebt, ohne mich abzuhetzen, den nächsten Tag vorwegzunehmen und darauf
hinzuarbeiten, ihn zu einem besseren als dem jetzigen zu machen. Demzufolge bin ich gespannt auf alles, was in meinem Herzen
noch ungelöst ist, sehe dem aber mit Geduld entgegen.
Mir fällt ein Dudelsackspieler auf, der zum Kai unterwegs ist, und ich frage mich, welchem Reisenden hier wohl ein königlicher
Abschied beschert wird. Kurz darauf kommt Katrina aus ihrem Laden, gefolgt von Dolores, und beide rennen jetzt, da die Fähre
den Kanal schon halb überquert hat. Dolores umarmt mich und drückt mir ein Messinglesezeichen in Form einer Acht in die Hand.
»Jetzt ist die Zeit gekommen, und wir sind diejenigen, auf die wir gewartet haben«, flüstert sie. Dann kommt Katrina auf mich
zu und überreicht mir ihr Geschenk, ein Stück Iona-Marmor an einem Lederband. »Mögest du bald zurückkehren«, sagt sie rasch,
dreht sich um, ohne auf eine Antwort zu warten, und läuft fort.
Als die Gangway auf den Kai gesenkt wird und Passagiere an Bord gehen, stimmt der Dudelsackspieler »Scotland the Brave« an.
Ich marschiere weiter, denke an die Ballade, die Fiona gestern gesungen hat, und glaube daran, dass auch ich eine Frau vom
Weisheitsbaum bin, grimmig und sanft, weise und mutig. Nachdem ich mein Gepäck abgestellt habe, eile ich aufs Oberdeck, um
einen letzten Blick auf mein Iona zu werfen.
Während die Maschinen stampfen und wir uns vom Ufer entfernen, wird mir klar, dass Reisen wie diese mit der Ankunft an einem
anderen Ort enden. Man hofft, dass es so etwas wie eine Auflösung und einen Abschluss für die Pilgeringibt – ein neues Blatt, auf dem sie ihr nächstes Stadium entwerfen kann. Gesegnet mit einem stillen Frieden, fühle ich mich
bereit, während ich an der Reling stehe, der Spirale nach außen zu folgen, bin jedoch dankbar, dass die Heimreise genauso
lange dauern wird wie die Hinreise und mir Zeit für weitere Gedanken lässt.
Als sich der Klang des Dudelsacks im Nebel verliert, wanke ich nicht, getreu dem Anderson-Motto, und salutiere meinem Vater,
der wusste, wie wertvoll es ist, auf Ererbtes und Geschichte zurückzugreifen. Ich spüre, dass die Geister der Vorfahren darauf
warten, wiedergeboren zu werden, und ich möchte ihnen die Ehre erweisen. Daher nehme ich einen kleinen Zettel aus meiner Tasche,
auf den ich ein paar Anweisungen geschrieben habe, die mir helfen werden, den neuen Kurs beizubehalten – diese neuen Ideale,
die sich aus meinen verschiedenen Umwandlungserlebnissen ergeben haben:
Nimm Veränderung bereitwillig an – vergiss nicht, dass das Leben immer wieder umgestaltet wird.
Freunde dich mit der Person an, die du werden willst.
Heiße neue Pfade willkommen. Genieße die Umwege.
Sei bestrebt, tiefer zu gehen statt nur vorwärts.
Wisse, dass die meisten unnötigen Ansprüche aus dem unvollendeten Teil deines Selbst stammen.
Nimm dich vor Geschwindigkeit in Acht. Die führt oft ins Verderben.
Aus ganzem Herzen ist der richtige Weg. Halbherzigkeit wird dich umbringen.
Zügle deine
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