Zurück ans Meer
dem Gras.
Solche uralten Kreise, vor etwa viertausend Jahren als Hilfsmittel zur Meditation entworfen, findet man oft in Kirchen, Gärten,
heiligen Stätten, an Orten mit starker Erdenergie, aber ich bin noch nie über ein Labyrinth in der Wildnis gestolpert.
Doch nichts, was mir auf Iona durch Zufall begegnet, sollte mich noch überraschen, und darüber hinaus habe ich gelernt, alle
Gaben anzunehmen, welche die Insel zu bieten hat. Daher weiß ich, obgleich es wieder zu regnen begonnen hat – nicht nur ein
schottischer Sprühregen, sondern dicke Tropfen –, dass ich in diese heilige Spirale hineingehen muss, die gewiss eine Metapher für den Pfad darstellt, auf dem ich mich befinde.
Wenn ich tatsächlich dabei bin, mein Leben zu ändern, statt es einfach nur fortzusetzen, könnte mir der Gang in das Labyrinth
den Impetus geben, den ich brauche.
Gleich darauf habe ich den Zugang gefunden und bemerke dann, dass im Mittelpunkt ein Cairn steht. Anscheinend sollen diejenigen,
die in das Labyrinth gehen, im Zentrum etwas von sich hinterlassen. Ich entdecke einen schneeweißen runden Stein, nehme ihn
in die Hand, atme tief durch und betrete den grasigen Pfad, der in dieses stille Heiligtum führt. Ich setzeeinen Fuß vor den anderen, fühle mich wie das Kind, das einst Braut oder Feenprinzessin im Garten spielte, und nehme nichts
und niemanden wahr, bis auf eine Kakophonie beruhigender Geräusche – die auflaufende Flut, die Brandung, kreischende Möwen
und natürlich meine bellenden Seehunde –, die mich zwingen, mich dem Vorgang weiter zu überlassen.
Es erfordert äußerste Konzentration, auf diesem schmalen Pfad nicht den Halt zu verlieren, aber diese einfache Reise erstickt
wunderbarerweise jedes sinnlose Geplapper, und ich bin einmal mehr ganz präsent. Diesen Pfad zu gehen, macht mich bedächtig
und geduldig. Auf diese Weise den Körper zu verlangsamen, hilft dabei, die Seele wachzurütteln.
Das hier ist kein Irrgarten mit Tricks und Sackgassen. Alle Wege führen ins Zentrum. Und es gibt nur einen Weg hinein und
einen hinaus, es sei denn, ich betrüge und trete von einem Pfad auf den anderen. Aber das würde den Zweck dieses Gangs zunichte
machen. Den Kurs zur Klarheit kann man nicht übertölpeln – er erfordert Ausgeglichenheit, Geduld und die Bereitschaft, sich
Zeit zu lassen.
Für einen Sekundenbruchteil fühle ich mich gehemmt und blicke mich um, ob mich jemand bei diesem Miniritual beobachtet. Aber
dann lache ich mich aus beim Gedanken daran, dass ich schließlich an einem verlassenen Strand irgendwo auf den Hebriden bin,
wo niemand zuschaut außer den Seehunden, ein paar Ziegen und diversen Schafen. Und so lasse ich mich weiter auf diese Erfahrung
ein, dankbar für jeden Schritt, den ich auf dieser Reise nach Iona unternommen habe. Kaum habe ich den Mittelpunkt erreicht,
erfüllt mich ein innerer Friede, für den ich keine Worte finde. Wieder werde ich an das Anderson-Motto – »Wanke nicht« – erinnert
und halte mich daran, ich nehme die Schultern zurück, atme die mystische Luft ein, spüre, wie die Erdenergie aus dem Boden
in mich einsickert, bis sie mein ganzes Sein durchdringt. Ich blicke auf den Kreis, der mich umschließt, und weiß, dasses für einen Kreis weder Anfang noch Ende gibt – der Kreis ist das Symbol des Lebens und besteht als solches aus einem endlosen
Kontinuum.
Ich lege meinen Stein oben auf den Haufen, warte ab, ob er hinunterfällt, doch er bleibt an seinem unsicheren Platz – ähnlich
wie ich jetzt, die ich nach neuen Höhen greife und darauf zähle, dass mein Fundament neue Wagnisse trägt. Die Ruhelosigkeit,
die ich empfunden habe – die fehlende Erdung, während ich auf der Suche nach Harmonie vorwärtsdrängte –, ist endlich durch diesen heiligen Moment besänftigt worden. Diese ganze Reise hat mich in ein Labyrinth heiliger Verwirrung
gezogen, in dem ich Unschuld wiedererlangte und viele Aspekte meiner selbst zu entdecken vermochte, die einst vergraben und
verloren waren. Zu Beginn dieser Pilgerreise habe ich Heilung gesucht – die Wiederherstellung von Gesundheit, Solidität und
spiritueller Ganzheit –, und das wurde mir hier geschenkt, weil ich offen, empfänglich und geduldig war. Ich brauche keine wunscherfüllte Zukunft
mehr, um die Gegenwart auszulöschen. Alles, was ich hier und jetzt habe, ist genug.
Nichts geschieht über Nacht. Eine Beziehung zum Unbekannten zu entwickeln, braucht
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