Zurück in deine Arme
sich, dass der dringend benötigte Schlaf seiner Frau gestört wurde. Mit einem unterdrückten Fluch langte er in ihre offene Tasche, in der Hoffnung, den Ton rechtzeitig abstellen zu können, bevor sie erwachte. Er schaffte es tatsächlich und merkte erst verspätet, dass er mit dem iPhone auch ein kleines Kärtchen aus der Tasche gezogen hatte, das auf den Boden gefallen war.
Rafael legte das Handy zurück, hob das Papier auf und sah, dass es die Visitenkarte einer Klinik war. Irritiert las er eine kanadische Adresse, die ihm nichts sagte, spürte aber plötzlich, wie sich seine Nackenhaare sträubten. Leila hatte einen Arzt in Kalifornien. Wozu brauchte sie eine Klinik in Kanada?
Abrupt griff er nach seinem Notebook, gab die Daten in eine Internetsuchmaschine ein und starrte mit steinerner Miene aufs Display. Und dann passierten zwei Sachen gleichzeitig. Der Jet geriet in ein Luftloch und weckte durch den Ruck Leila auf, die einen erschrockenen Laut von sich gab. Gleichzeitig öffnete sich unter Rafaels brennendem Blick die Seite einer Klinik, die auf Abtreibung spezialisiert war.
Blinde Wut überschwemmte ihn mit geballter Kraft und nahm ihm den Atem. Hatte Leila sich in ihrer panischen Furcht etwa heimlich dazu entschlossen, die Babys …
„Ich hoffe, wir sind bald da“, murmelte sie mit belegter Stimme.
„Warum trägst du die Visitenkarte einer Abtreibungsklinik in deiner Tasche?“, fragte er eisig. „Überlegst du etwa, dich deiner Ängste auf diese Weise zu entledigen?“
Ihre Lippen öffneten sich, doch heraus kam nur ein erstickter Laut, der wie das Klagen eines kleinen Wildtiers klang. Entsetzt schüttelte sie den Kopf. „Meine Agentin hat mir die Adresse gegeben, für den Fall, dass ich eine derartige Option in Betracht ziehe“, brachte sie schließlich mühsam hervor, „aber das erschien mir so abwegig, dass ich die Visitenkarte völlig vergessen habe.“
Allein die Tatsache, dass sie ihrer Agentin noch vor ihm von der Schwangerschaft erzählt hatte, ließ seine Wut noch wachsen. Gut, er war nicht vor Ort gewesen, und Leila war gleich am nächsten Tag in einen Flieger gestiegen, um ihm die Nachricht persönlich zu überbringen. Aber wenn man sie nun überredet hätte, die Babys zum Wohl ihrer Karriere tatsächlich wegmachen zu lassen?
Nur zu gut hatte er noch ihre Worte von ihrem Karrierestart im Ohr, als ihre Mutter und ihre Agentin sie dazu zwangen, ihre Mahlzeiten rigide zu beschränken und dazwischen auch noch tagelang zu hungern. Und das einzig und allein, um dem kranken Schönheitsideal einer ätherischen Nymphe zu entsprechen. Damit hätten sie den naiven Teenager fast umgebracht!
„Hast du jemals über diese Möglichkeit nachgedacht?“
Leila zuckte zurück, als hätte er sie geohrfeigt. „Wenn du mich wirklich kennen würdest, hättest du diese Frage nie gestellt“, erwiderte sie heiser.
Augenblicklich versteifte er sich und war schon drauf und dran zu behaupten, dass er sie besser kenne als sie sich selbst. Doch plötzlich tauchte das jähzornig gerötete Gesicht von William Wolfe vor seinem inneren Auge auf. Die wutverzerrte Fratze eines unbeherrschten Despoten.
Habe ich vielleicht mehr von meinem Vater, als mir bewusst ist?
Nein! Das war ein Zerrbild seiner kranken Fantasie, die ihn immer wieder heimsuchte, wenn es um das Thema Familie ging. Er war nicht wie sein Vater! Beschämt über sein unbeherrschtes Benehmen hielt Rafael seiner Frau die Karte hin.
„Was mich interessiert, ist, wie die Visitenkarte überhaupt in deinen Besitz gekommen ist. Durchsuchst du etwa meine Tasche, weil du mir nicht vertraust, als wäre ich ein rebellischer Teenager?“
„Sie ist auf den Boden gefallen, als ich dein Handy aus der Tasche genommen habe, um es auszumachen.“
Abwartend schaute sie ihn an, als erwarte sie mehr als das.
„Tut mir leid, Querida .“
Ihre Schultern sanken nach vorn, doch als Rafael die Hand ausstreckte, wich sie zurück und richtete sich kerzengerade auf. „Nachdem ich dir von dem Drama der Fehlgeburt erzählt habe, kannst du doch nicht wirklich annehmen, ich würde etwas derart Ungeheuerliches tun, oder?“
Da war sie wieder … die stählerne Kraft, die er von Anfang an hinter ihrer lieblichen Fassade erkannt hatte. Ihr war es zu verdanken, dass Leila sich aus ihrem häuslichen Elend befreit hatte und nach den Sternen greifen konnte. Trotzdem hatte ihr das Leben in den Slums von Rio ähnliche Angst gemacht und ebenso tiefe Narben geschlagen wie ihm
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