Zurueck in die Nacht
„Wir wollten doch
nur… äh… nach Arik suchen. Wofür brauchen wir denn da ein Messer?“
„Er ist doch
verschwunden, oder?“ Er sah mich streng an.
„Ja...“ Ich kam
mir vor wie eine begriffsstutzige Schülerin unter dem missbilligenden Blick
ihres Lehrers.
„Und will – oder
kann – nicht gefunden werden, richtig?“
Ich nickte
zögernd. „Sieht so aus.“
„Also könnte es
doch bei unserer Suche zu… Zwischenfällen kommen, meinst du nicht auch?“
„Vielleicht…“
Trotzdem glaubte ich nicht, dass ein Messer dabei eine Rolle spielen könnte.
„Das weißt du
nie“, entgegnete Jay entschieden, und ich erinnerte mich mal wieder zu spät
daran, dass er meine Gedanken kannte. Zumindest immer dann, wenn ich nicht ganz
genau darauf achtete, sie von ihm fernzuhalten. „Es ist immer besser, auf etwas
vorbereitet zu sein, das man dann nicht braucht, als umgekehrt.“
Und da hatte er
natürlich Recht. Wie eigentlich immer. Je länger ich mit ihm zusammen war,
desto weniger Grund sah ich, irgendetwas von dem, was er sagte oder tat,
anzuzweifeln. Denn am Ende überzeugte er mich sowieso. Also trainierten wir
auch mit dem Messer. Und ich konnte es nicht leugnen, dass es ein zunehmend
gutes Gefühl war, eine solche Waffe nicht nur in der Hand zu halten, sondern
auch immer sicherer im Umgang mit ihr zu werden. Und als er es mir eines Nachts
mit den feierlichen Worten „Es gehört jetzt dir. Das hast du dir verdient!“
überreichte, fühlte ich mich stolz. Seitdem trug ich es immer in meinem
Rucksack mit mir herum.
Doch Kämpfen war
nicht das Einzige, das er mir beibrachte. Erst die nächste Lektion war es, die
meine Welt endgültig auf den Kopf stellte. Dabei bemerkte ich sie zunächst
nicht einmal. Ich wunderte mich nur manchmal, dass wir, meinem Gefühl nach,
stets die ganze Nacht (und darüber hinaus) trainierten und ich trotzdem noch
Zeit fand, ein paar Stunden zu schlafen und am nächsten Morgen nicht völlig
übernächtigt in der Schule zu sitzen. Und das nicht nur einmal oder zweimal,
sondern Tag für Tag und Woche für Woche. Ich fühlte mich trotz unseres extrem
hohen Trainingspensums sogar fitter und wacher als je zuvor.
„Das liegt an unserem
Kuss“, erklärte Jay, als ich endlich den Mut fand, ihn zu fragen.
Ich wurde rot.
Der Kuss war eine Episode, an die ich lieber nicht erinnert wurde. Zum einen,
weil ich immer noch Schuldgefühle hatte, weil ich mich so gehenlassen hatte.
Zum anderen, weil ich mich fast verzweifelt danach sehnte, ihn zu wiederholen,
Jay hingegen nicht das geringste Bedürfnis danach zu verspüren schien. Und
schließlich, und das war am schlimmsten, weil ich insgeheim fürchtete, dass er
ganz genau wusste, wie es um mich stand, auch wenn er mich nie darauf ansprach.
Immerhin konnte er ja meine Gedanken lesen. Ich bemühte mich, mir trotzdem
nichts anmerken zu lassen. „An dem Kuss? Was meinst du?“
„Ich bin jetzt
ein Teil von dir und du von mir. Das habe ich dir doch gesagt.“
„Und das macht
mich so fit?“
„Ja.“ Er nickte,
als sei das das Selbstverständlichste der Welt.
„Wieso? Was war
denn so Besonderes daran? Hast du etwa irgendwelche Superkräfte, die du auf
mich übertragen hast?“
„Naja, wenn du
es so ausdrücken willst…“
Ich sah ihn
unsicher an. Wollte er mich auf den Arm nehmen? „Und warum merke ich dann nichts
davon?“
„Tust du doch.
Jede Nacht.“
Ich war
enttäuscht. „Ach so. Du meinst das Kämpfen?“
Er schüttelte
den Kopf. „Nein. Ich meine das Nach-Hause-Gehen.“
„Ja, das ist
wirklich eine tolle Leistung“, spöttelte ich. „Das kann nicht jeder.“
„Stimmt“,
entgegnete er. „Kannst ja nachher einfach mal drauf achten.“
Und das tat ich.
Aber ich bemerkte nichts Besonderes, während ich neben ihm her lief. Was ich
ihm auch sagte, als wir vor meiner Haustür standen und uns wie immer
verabschiedeten.
„Dann sieh doch
mal auf deine Uhr“, entgegnete er nur mit rätselhafter Miene.
„Zwölf Uhr
nachts“, stellte ich überrascht fest. Nach meinem Gefühl hätte es mindestens
fünf Uhr morgens sein müssen. „Da kann ich ja glatt noch ein paar Stunden
schlafen. Hätte ich nicht gedacht.“
„Eben.
Erstaunlich, wenn man bedenkt, wie lange wir trainiert haben.“
Ich gähnte und
reckte meine müden Glieder. „Stimmt. Kommt mir vor wie zwei Nächte.“
„Das waren es
auch fast! Ich habe dich heute vor genau zwölfeinhalb Stunden von der Schule
abgeholt.“
Ich muss nicht
sehr intelligent
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