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Zurueck in die Nacht

Zurueck in die Nacht

Titel: Zurueck in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Walter
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ausgesehen haben. „ Zwölf ? Wie soll das denn gehen?“
    „Denk mal drüber
nach. Ich denke, da kannst du selber drauf kommen. Denn du weißt es ja
eigentlich schon.“ Und mit diesen rätselhaften Worten ließ er mich stehen.
    Ausnahmsweise
war ich am nächsten Morgen nicht sehr erholt. Die Frage ließ mir keine Ruhe.
Trotzdem brauchte ich noch einen weiteren Tag, in dem ich der Zeit, die ich mit
ihm verbrachte, besondere Aufmerksamkeit widmete, bis ich des Rätsels Lösung
fand. Dann jedoch war es tatsächlich ganz einfach, und ich wunderte mich, dass
ich nicht eher darauf gekommen war. Denn es erklärte endlich auch, warum er
sich so sicher war, Arik finden zu können.
    „ Deswegen warst du gar nicht überrascht, als ich dir das von Arik erzählt habe, oder?
Weil du… wie er bist?“ Er antwortete nicht, aber das war auch nicht nötig. Es
konnte ja gar nicht anders sein. Alles passte. „Warum hast du das nicht gleich
gesagt?“
    „Weil ich
wollte, dass du von selbst drauf kommst. Wenn du bereit dafür wärst.“
    „Und das bin ich
jetzt?“
    Er nickte.
    „Woher willst du
das wissen?“
    „Weil du es auch
tust.“
    „Ich? Was?“
    „Durch die Zeit
gehen.“
    „Häh?“ Das
sollte wohl ein Witz sein.
    Aber er blieb
ernst. „Am Anfang habe ich dich immer an der Hand mitgenommen. Inzwischen gehst
du allein. Ich begleite dich nur.“
    Ich dachte kurz
nach. Es stimmte. Ich wurde total aufgeregt. „Du meinst das ernst? Ich kann
wirklich durch die Zeit gehen? Ganz allein?“
    „Ja. Weil du ein
Teil von mir bist. Ich kann dir nur helfen, deine Technik noch etwas zu
verfeinern.“
    „Wow.“ Das haute
mich um. Zwar hatte auch Arik mich am Anfang unseres Kennenlernens auf einen
kurzen Zeitspaziergang mitgenommen, aber da war ich nur an seiner Hand hinter
ihm her gestolpert wie ein kleines Kind. Danach hatte er das nie wiederholt,
obwohl ich ihn mehrfach darum gebeten hatte. Dass Jay mir jetzt beibringen
wollte, selbstständig durch die Zeit zu gehen – beziehungsweise, dass er sagte,
dass ich es schon konnte –war einfach super.
    Und es ließ
viele neue Fragen in mir wach werden. Fragen, die ich eigentlich schon Arik
hatte stellen wollen, die er jedoch immer abgeblockt hatte. Vielleicht war Jay
ja kooperativer?
    „Sag mal, woher
könnt ihr das eigentlich?“
    „Was?“
    „Na, das alles!
Gedanken lesen, durch die Zeit gehen und wer weiß, was sonst noch. Woher kommt
das?“ Ich sah ihn fragend an.
    Zunächst schien
meine Hoffnung, dass er mir mehr verraten würde, vergeblich. Er antwortete genau
so vage wie seinerzeit Arik. „Wir können es eben.“
    Doch so leicht
ließ ich mich nicht abwimmeln. „Ja, aber wieso? Und wieso reicht ein…“ – ich
wurde rot, machte aber tapfer weiter – „… ein einziger Kuss aus, dass ich das
auch kann? Das ist doch total verrückt!“
    Diesmal
antwortete er nicht sofort, sondern sah mich abwägend an. „Ist es so wichtig,
warum das so ist?“
    Ich nickte
energisch. „Ist es. Schließlich hast du gesagt, ich trage jetzt quasi einen
Teil von dir in mir. Findest du nicht, dass ich dann auch ein Recht darauf
habe, diesen Teil etwas besser kennen zu lernen?“
    Er schüttelte
müde den Kopf. „Recht? Wer hat schon ein Recht auf irgendwas? Es gab eine Zeit,
da glaubte ich noch an das Recht. Da dachten ich und die Meinen, wir hätten ein
Recht darauf, an dem einzigen Ort zu sein, an dem wir sein wollten. Wir
dachten, dieses Recht wäre uns sozusagen angeboren.“ Er gab einen Ton von sich,
der halb wie ein verächtliches Lachen und halb wie ein Seufzer klang. „Und wo
sind wir gelandet? An dem Ort, an dem wir als allerletztes sein wollten. Und
wie sehr wir uns auch anstrengen, wie sehr wir auch kämpfen – es nützt uns gar
nichts. Niemand bemerkt unsere Taten, oder er bemerkt sie und es ist ihm egal.
Wir haben kein Recht auf gar nichts. Es gibt kein Recht. Und doch müssen wir
daran glauben und weiter dafür kämpfen, denn sonst sind wir auf ewig verloren.“
    Er verstummte
und sah mich mit einem so hoffnungslosen Blick an, dass ich einfach nicht
anders konnte. Ich ging zu ihm und umarmte ihn. Sofort umfing mich eine so
wohltuende Wärme, dass ich ihn am liebsten niemals wieder losgelassen hätte.
Und dass ich ganz vergaß, dass meine Frage mal wieder nicht beantwortet worden
war.
    Nachdem ich
einmal erkannt hatte, dass ich durch die Zeit gehen konnte, schien ein Damm in
meinem Innern zu brechen. Es begann mit kleinen Tropfen, die sich zu Rinnsalen
erweiterten.

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