Zurueck in die Nacht
die Gebote handelt.“
Ich bin wie
gelähmt vor Entsetzen. Was Jay da beschreibt, ist die Hölle.
„Nein, nicht die
Hölle“, korrigiert er mich ernst. „Die kommt erst später. Das hier ist das
Fegefeuer. Die letzte Chance, zu bereuen, und vielleicht, wenn Gott ihnen
gnädig ist, geläutert zu werden.“
Mich ergreift
eine ungeheure Traurigkeit. Diese beiden bewegungslosen Gestalten dort haben
nicht das Geringste gemeinsam mit den finsteren Verbrechern in meinem Kopf.
Claire sieht aus wie ein Engel mit ihren langen, rotgoldenen Locken, den zarten
Gesichtszügen und der ätherischen Gestalt. Die Tatsache, dass sie in dem
schummrigen Licht fast zu schweben scheint, verstärkt diesen Eindruck noch. Und
Arik…
Plötzlich
steigen mir Tränen in die Augen und ich zwinkere sie hastig weg. Ach, Arik. Er
wirkt so hilflos, so einsam, so – unschuldig. Er ruft ein Gefühl in mir wach,
dass mich vollkommen überrascht. Mitleid. Oder etwas Anderes, Stärkeres. Alles
in mir schreit mich an, sofort zu ihm zu rennen, ihn dort herunter zu holen und
dann weit, weit weg zu laufen. Und ihn nie wieder loszulassen. Und ich fühle
noch etwas anderes. Zweifel. Ich war mir so sicher, dass ich auf der richtigen
Seite stehe. Dass ich das Richtige getan habe. Doch jetzt, bei seinem Anblick,
bin ich das plötzlich nicht mehr. Im Gegenteil. Am liebsten würde ich schreien. Arik! Was habe ich nur getan?
Liebe
Arik
Ich erwache mit
einem Schock wie aus einem tiefen Traum. Irgendetwas ist anders. Etwas, das
einen Augenblick vorher noch nicht so war. Im ersten Moment scheint alles
gleich. Nämlich nichts. Doch dann merke ich plötzlich, dass mein Herz heftig
schlägt. Ich kann etwas fühlen! Mein Herzschlag beschleunigt sich noch mehr und
ich könnte gleichzeitig lachen und weinen, so gut tut es, endlich wieder zu fühlen.
Dass ich noch am Leben bin. Und dass da noch etwas anderes ist außer mir und
der endlosen Hölle meiner eigenen Gedanken. Und dann spüre ich noch etwas.
Jemand ist in meiner Nähe. Jemand denkt an mich. Clarissa. Irgendwie ist
ihr Name in meinem Kopf gelandet. Und ich bin mir ganz sicher, dass er nicht
von mir stammt. Sie ist hier, bei mir. Ich weiß es. Ich fühlees. Es
fühlt sich unglaublich gut an. Doch dann erstarre ich auf einmal innerlich und
mir wird noch viel kälter als vorher. Wenn sie hier bei mir ist, kann das nur
eins bedeuten: dass sie sie auch erwischt haben. Dass sie auch gefangen ist.
Und dass sie sich in derselben entsetzlichen Hölle befindet wie ich.
Clarissa?
Bist du da? Ich konzentriere mich mit aller Kraft auf diesen einen Gedanken
und stelle mir vor, dass ich ihn wieder und wieder hinaus sende. Clarissa? Antworte
mir, wenn du kannst! Ich weiß, dass du da bist! Bitte!
Und da, als ich schon
glaube, ich habe mich geirrt und es war doch nur ein Wunschtraum, höre ich
plötzlich eine Antwort. Ganz leise, als käme sie von weit her, aber doch
unmissverständlich. Diese Stimme würde ich aus tausenden heraus kennen, auch
wenn sie nur in meinem Kopf existiert. Arik. Oh, Arik! Es tut mir leid! Das
wollte ich nicht! Nein! Dann verstummt sie abrupt. Und so sehr ich auch in
Gedanken ihren Namen herausschreie, es kommt keine Antwort mehr. Sie ist weg.
Und die Hölle hat mich wieder. Doch ich bin nicht mehr tot. Ich spüre mein
Herz. Und solange Clarissa irgendwo ist, wird es nicht mehr aufhören, zu
schlagen.
Clarissa
Jay verlässt
fast fluchtartig mit mir das Gewölbe. Er zieht mich hinter sich her die Treppe
hoch und durch mehrere Gänge, bis ich mich auf einmal mit ihm in der Kammer
wiederfinde, in der ich die Nacht verbracht habe. Hastig schließt er die Tür
hinter uns, dann drückt er mich auf das Bett nieder und baut sich vor mir auf.
Sein Gesichtsausdruck verheißt nichts Gutes. Ich verkrampfe mich vor Angst. Er
hat mitbekommen, was ich gedacht habe. Oder, noch schlimmer, gefühlt. Den
Schock bei Ariks Anblick. Und den noch größeren Schock, als ich ihn plötzlich
in meinem Kopf gespürt habe. Seine Stimme gehört habe. Und sicher hört er auch
jetzt, was ich denke. Aber ich habe nicht die Kraft, das zu ändern. Ich war
noch nie besonders gut darin, meine Gedanken abzuschirmen. Und jetzt hat Ariks
Anblick all meine Energie verbraucht. Soll Jay doch mit mir machen, was er
will. Ich kann mich nicht mehr wehren.
Trotzdem zucke
ich zusammen, als er sich plötzlich neben mich setzt und seinen Arm um mich
legt. Aber die wohltuende, beruhigende Wärme, die daraufhin sonst immer
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