Zurück ins Licht (Das Kleeblatt)
ganz gut stehen“, erwiderte Angel salopp und wollte sich schon mit verschränkten Armen an das Bücherregal lehnen, als ihn die Stimme des Professors stoppte.
„Bitte.“ Die Einladung wurde höflich, aber überaus bestimmt vorgetragen.
Bitte? Quasi unter Schock ließ sich Angel auf den nächsten Stuhl fallen. Dieses Wort hatte Professor Vogel noch nie zuvor gebraucht – er hätte nicht gedacht, dass es überhaupt Teil seines Wortschatzes war.
„Wie kommt Karo zurecht?“
„Nun, es ist schwer für sie, ohne Frage. Die Mädchen haben sich sehr nahe gestanden, kannten sich schon von Kindesbeinen an und haben sich quasi gegenseitig die Eltern ersetzt. Ähnlich wie Dani und ich, obwohl die Eltern der zwei noch leben.“
„Du kümmerst dich um sie?“
„Natürlich.“ Angel grinste vieldeutig. „Ich weiß schon, wie ich sie auf andere Gedanken bringen kann.“
„Ich hatte weniger den Sex im Sinn. Sie braucht jetzt viel mehr jemanden, der ihr zuhört und der …“
„Ich weiß, was ich zu tun habe“, wiederholte Angel mit leiser, messerscharfer Stimme.
„ Und was ist mit dir?“
„Passt schon.“ Angel winkte lässig ab, doch seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, nicht schnell genug, sodass der Professor die Wut darin glitzern sah. „Nicht ich habe in dem Wagen gesessen.“
„Ich habe …“
Die Pause, die der Professor an dieser Stelle einschob, war lang genug, um Angels Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Endlich hob der den Kopf und blickte in das Gesicht des Chefarztes, das ungewöhnlich ernst wirkte.
„ Was ist?“
„Ich habe anderes gehört , deinen Gesundheitszustand betreffend.“
„ Wirklich?“ Angel grinste süffisant und betrachtete gelangweilt seine Fingernägel.
„Sei wenigstens ehrlich zu dir selbst.“
„Es ging mir nie besser. Was haben Sie denn erwartet?“
Dann geschah et was, womit Angel nicht einmal im Traum gerechnet hätte. Innerhalb von Sekunden verlor er den Boden unter den Füßen, weil seine Welt auf den Kopf gestellt wurde und in sich zusammenstürzte wie ein Kartenhaus. Alles, was er bis dahin für selbstverständlich angesehen hatte, wurde mit den nächsten Worten des Professors in Frage gestellt. All seine Werte, seine Erfahrungen, sogar der Sinn seines Lebens.
„Ich will gleich auf den Punkt kommen, Angel. Ich kann nicht länger das Risiko eingehen, dich im OP einzusetzen. Die Gefahr, dass du während einer Operation einen Anfall erleidest, ist nicht nur für unsere Patienten, sondern auch für dich nach den jüngsten Ereignissen unkalkulierbar geworden. Dein Zustand ist instabiler als je zuvor.“
„W-was?“
„Ich habe eine Einladung zu einem Ärztekongress für Kinderpsychologie. Du wirst dorthin fahren“, fügte der Professor seiner kurzen Rede ohne Atempause an, weil er hoffte, damit jegliche Diskussion gleich im Keim ersticken zu können.
Angel schüttelte ungläubig den Kopf und starrte dem Professor in die stahlgrauen Augen, in denen er nicht die Spur von Nachgiebigkeit erkennen konnte. Nein, er hatte kein einziges Wort verstanden. Er hatte sich, das gab er zu, auch nicht allzu viel Mühe gegeben, ihm Gehör und Aufmerksamkeit zu schenken. Vollkommen überrumpelt öffnete er den Mund für eine Erwiderung und schloss ihn wieder, weil ihm nicht die richtigen Worte einfallen wollten. Er fuhr sich mit der Hand durch die kurzen Haare und holte tief Luft.
„Du solltest wirklich erst in Ruhe darüber nachdenken, ehe du dich dazu äußerst.“
„Aber was … was soll das denn heißen? Ich meine …“
„Ich denke, ich habe mich klar und deutlich ausgedrückt, sodass du sehr wohl verstanden hast, was das bedeutet.“
Er wollte es nicht verstehen, brach stattdessen in grölendes Gelächter aus, konnten die Erklärungen des Alten doch nichts anderes als ein schlechter Witz sein. Er fühlte sich nicht einmal bemüßigt, die Argumente des Chefarztes für diese Entscheidung zu überdenken, sondern glaubte weiterhin an einen Scherz. Unpassend und absolut daneben.
Als der Professor nicht in sein Lachen einstimmte, verlor Angel die Beherrschung. Den Kopf trotzig erhoben, fauchte er den Chefarzt an: „Das werde ich nicht tun! Ich werde nirgendwohin fahren! Und schon gar nicht zu einer derartigen Witzveranstaltung. Ich bin weder Kinderarzt noch Psychologe und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern, haben Sie mich verstanden? Ich bin Chirurg, ein verdammt guter Chirurg, und lasse mir von Ihnen nichts anderes einreden oder meine
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