Zurück ins Licht (Das Kleeblatt)
Karriere zerstören.“
Eisiges Schweigen hing zwischen ihnen. Der Chefarzt blickte zu An gel, als würde er an dessen Geisteszustand zweifeln, seine Miene hingegen ließ nicht den geringsten Zweifel daran aufkommen, dass er keinen Rückzieher machen würde.
„Wer steckt dahinter, hä? Wer ist auf meinen Platz im OP scharf und hat Ihnen diesen verdammten Floh ins Ohr gesetzt, ich wäre eine Gefahr für die Patienten? Ich will es wissen!“
„Wir haben noch keine Entscheidung darüber getroffen, wer dich ersetzen wird.“
„Sie haben … Sie wollen mir weismachen, dass Sie noch keinen Nachfolger für meine Stelle haben, und können mich trotzdem nicht schnell genug loswerden? Zufällig weiß ich ganz genau, dass die Personaldecke so dünn ist, dass Sie nicht auf mich verzichten können.“
„ Aus diesem Grund ist uns dieser Schritt auch alles andere als leicht gefallen. Und ja, du hast vollkommen Recht, eigentlich können wir es uns nicht leisten, auf dich zu verzichten …“
„ Warum dann, Professor? Ich flehe Sie an, tun Sie das nicht!“, verlegte sich Angel aufs Bitten, weil er eine winzige Lücke in der Abwehr des Chefarztes entdeckt hatte. „Es wird nicht vorkommen, nicht im OP, ich verspreche es. Ich werde keine Anfälle mehr haben. Sie müssen mich in der chirurgischen Abteilung lassen. Sie dürfen …“
„ Schluss damit, Angel!“
Er durfte sich nicht auf Smalltalk mit dem Jüngeren einlassen, denn wenn es jemandem gelingen sollte, ihn von seiner Entscheidung abzubringen, dann war das Angel, der misshandelte und vernachlässigte Junge, für den er so viel empfand, Mitgefühl und Verantwortung, Liebe und Trauer. Für den er noch heute alles tun würde, um ihn vor den Widrigkeiten des Lebens zu beschützen.
„ Wie kannst du so etwas versprechen? In den vergangenen sieben Jahren hast du diese Anfälle nicht in den Griff bekommen. Warum sollte es dir ausgerechnet jetzt gelingen? Wir hatten bisher verdammtes Glück, dass es nie während einer Operation passiert ist. Aber wir sollten es nicht länger provozieren. Wir können uns das einfach nicht leisten.“
Er konnte nicht begreifen, w eshalb ihm der Professor das antat. Ausgerechnet ihm, den der Chefarzt bisher auf jede erdenkliche Weise gefördert und unterstützt hatte. Er schaufelte ihm höchstpersönlich ein Grab. Da musste etwas anderes dahinter stecken als lediglich die Sorge um den Ruf seiner Klinik, kam er zu dem irrigen Schluss. Befürchtete der Alte etwa, er könnte ihm Konkurrenz machen? Der Professor war nicht mehr der Jüngste und bangte womöglich um seinen Platz im OP. Wollte er ihn deswegen loswerden?
„Warum ausgerechnet jetzt? Sie müssen sich das noch einmal überlegen! So lange Sie keinen Ersatz für mich gefunden haben, werde ich einen Psychologen aufsuchen, einen Psychiater, Neurologen, wen immer Sie wollen, nur geben Sie mir eine Chance. Es wird nicht im OP passieren, glauben Sie mir, Professor. Schicken Sie mich nicht in die Pädiatrie, in diesen verdammten Kindergarten! Geben Sie mir …“
„Du wirst nicht alleine zu diesem Kongress fahren.“ Mit stoischer Ruhe mühte sich der Chefarzt, Angels Einwände zu ignorieren. Er konnte dem Jüngeren nicht in die Augen sehen, ohne seine Besorgnis zu zeigen. „Unsere neue Kollegin, Frau Doktor Bertram, eine klinische Psychologin, wird ebenfalls dort sein. Ich denke, du bist ihr bereits begegnet. Künftig arbeitest du mit ihr zusammen. Und bis zum Kongress beschäftigst du dich mit Problemen der Kinderpsychologie“. Sein Ton ließ kein Aber zu. Der Chefarzt hatte seine Anweisung gegeben und weil er es nicht gewohnt war, dass seine Entscheidungen infrage gestellt wurden, war das Thema damit für ihn erledigt.
Angewidert überflog der junge Arzt die Einladung, die der Professor über den Tisch schob. Dessen aufmunterndes Lächeln sollte Angel beru higen und bewirkte lediglich das Gegenteil. Sein Blut rauschte schmerzhaft durch seine Adern und ließ ihn gequält aufstöhnen.
„Pädiatrie“, quetschte er durch seine gefletschten Zähne und machte eine erschreckende, weil eindeutige Handbewegung.
Ja, er wäre dem alten Professor am liebsten an die Gurgel gegangen. Für einen Moment hatte er völlig vergessen, dass ihn der Professor viel zu lange kannte, um diese Geste falsch zu deuten. Schweigend ließ der Chefarzt seinen Schützling stehen, hin- und hergerissen zwischen Enttäuschung und Bedauern, Schuldgefühlen und Verständnis, vor allem aber besorgt, weil er ahnte,
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