Zurück ins Licht (Das Kleeblatt)
bemühte, es war nicht der geringste Laut zu hören. Wie lange würden sie ihn hier festhalten? Die Zeit hatte jegliche Bedeutung verloren, seit das Sonnenlicht für ihn verschwunden war. Hier gab es nichts außer Dunkelheit, bleierner Stille und eisiger Kälte, die bis ins Mark drangen. Er wusste nicht, seit wann er wartete. Sie würden ihn finden. Irgendwann. Eines Tages.
Grüble nicht länger! Und glaube Sina kein Wort. Danilo würde für die Babys sorgen, als wären es seine eigenen. Und er wäre für Karo da. Er hatte sich stets auf den Jüngeren verlassen können. Schon als Kinder hatten sie sich ohne Vorbehalte vertraut. Sein Freund kümmerte sich um Karo und zwar in ehrenhaftester Weise, wie sie es abgesprochen hatten.
Doch was, wenn Danilo die Gunst der Stunde nutzte? Zugegeben, der Kleine hatte mitunter erhebliche Mühe, in Gang zu kommen, aber wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, bekam er es auch. Und wenn es Jahre dauern würde, bis sich ihm seine Chance bot, denn Danilo war berühmt für seine Geduld und Ausdauer. Er gewann seine Kämpfe nicht mit körperlicher Stärke. Und er liebte Karo aufrichtig und ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Wie viel weiter ging seine Bruderliebe? Würde er ihre Freundschaft wegen einer Frau aufs Spiel setzen? Karo war nicht nur irgendeine Frau.
Er fand keine Antwort auf seine Fragen. Schluss damit! Er musste aufhören, sich mit Fragen zu quälen, auf die sie ihm keine Antwort geben würden.
Ruhe finden in seiner Mitte. Sein Ich in sich selbst versenken. Meditieren wie seit Kindertagen. Der alte Tranh Tuan Khanh, der noch heute neben dem Kinderheim in seiner spartanischen Hütte lebte und sich mit Hingabe um den Garten des Heimes kümmerte, hatte Danilo und ihn schon früh in die Geheimnisse der Entspannung eingeweiht. Dieses Wissen würde ihm auch jetzt helfen, die Stärke der Liebe seiner Freunde zu spüren. Die Stille in seinem Verlies half ihm, sich zu konzentrieren und seine Kraft zusammenzuhalten. Er verdrängte die Gedanken an alles, was ihn umgab – der Gestank von Blut, Schweiß und Erbrochenem, Einsamkeit und Angst. Mehr und mehr wandte er sich dem Ort zu, wo es weder Zeit noch Raum gab, sondern einzig Leben spendende Kraft. Seine Seele verließ ihren geschundenen Leib und blickte auf den bedrohlich wankenden Körper des jungen Arztes herab.
Das Gefühl, von unsichtbaren Augen in den Wänden beobachtet zu werden, ließ ihn unruhig werden. Ruckartig straffte er sich. Sein Kopf schnellte in die Höhe, als könnte er damit die fehlende Möglichkeit zu sehen kompensieren. Er durfte nicht aufgeben, wenngleich sein Körper von Hunger, Schlafentzug und der Operation bereits zu sehr geschwächt war, um sich noch aufrecht halten zu können. Der Boden schien sich unter seinen Füßen in Treibsand zu verwandeln und aufzusaugen, bis er im Nichts versinken würde.
Wohin hatte ihn Sina gebracht? Immer stärker schwankte der Raum um ihn herum. Er spürte, wie sich die Wände auf ihn zu bewegten und ihm die Luft zum Atmen nahmen. Wie lange stand er schon hier? Sina würde kommen, wenn sie ihn wieder wollte. Und sie würde die Gelegenheit nutzen. Ihn benutzen und demütigen, um seinen Willen zu brechen.
Er schreckte auf und wurde sich voll Entsetzen bewusst, dass er beinahe eingeschlafen wäre. Wie ein Tier witternd hob er den Kopf, horchte angestrengt in das Dunkel.
Unerwartet erschien Karos blasses, spitzes Gesicht vor ihm und sein Herz fing wie wild an zu pochen. Wer war diese Frau? Ihrem Gesicht fehlte all die Lebendigkeit, die er an Karo so liebte. Ihre Augen blickten distanziert und wirkten so leblos, als hätten sie keine Tränen mehr. Eine Trauer, wie er sie nie zuvor gesehen hatte, lag darüber. Stille Verzweiflung und Wehmut. Ihr Mund sah aus, als ob er niemals wieder lächeln würde. Sein Magen zog sich vor Sehnsucht und Schmerz zusammen. Wann hatte sie ihr silberhelles Lachen verloren? Hatte sie ihn bereits aufgegeben? Glaubte sie ihn an Sina verloren und suchte deswegen anderswo Trost und Zuflucht? Bei Danilo?
Etwas in ihm zerbrach in dieser Sekunde. Das war die Karo, die er aus ihr gemacht hatte – mit seinem Unverstand und seiner grenzenlosen Arroganz, seiner Herrschsucht und schmutzigen Vergangenheit, unter der sie zu leiden hatte.
Das war Karo ohne Leben in den Augen, ohne das Licht der Liebe darin.
Er mühte sich vergeblich, die Furcht beiseite zu schieben, die ihre gierigen Klauen nach ihm ausstreckte. Er musste mit Sina reden! Sie wusste
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