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Zurück ins Licht (Das Kleeblatt)

Zurück ins Licht (Das Kleeblatt)

Titel: Zurück ins Licht (Das Kleeblatt) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansi Hartwig
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testen, der sich der Erforschung menschlicher Toleranzgrenzen in Zwangssituationen verschrieben hat. Du weißt schon, physischer und psychischer Schmerz, Hunger, Angst und all diese unerfreulichen Dinge, die einem das Leben zur Hölle machen können. Sobald du laut genug schreist, um mit uns zu reden, geben wir dir das Gegengift.“
    Er beugte sich weiter über Angel, der instinktiv zurückwich und sich unwillig versteifte, während ihm die kalte Hand des Alten die Wange tätschelte. „Ich weiß, du bist imstande, den Schmerz auszublenden, besser als jeder normale Mensch es vermag, denn du warst schon immer etwas Besonderes. Das Schreien indes kannst selbst du nur bis zu einem gewissen Grad unterdrücken. Unsere geschätzte Frau Doktor hat mir versichert, jegliche Kontrolle würde versagen, wenn der Schmerzreiz zum Beispiel völlig unerwartet kommt. In einer Sekunde bist du noch wild entschlossen zu widerstehen, in der nächsten“, klauenartige Finger schlossen sich um seine Hoden und drückten fest zu, bis Angels aufeinandergebissene Zähne knirschten, „stehst du bereits in hellen Flammen. Nicht einmal du kannst etwas dagegen ausrichten. So, nun wollen wir doch mal sehen, ob du in der Zwischenzeit wirklich dieser Supermann geworden bist, der keine Schmerzen verspürt.“
    Geübte Hände schraubten den leeren Kolben ab und klebten die Kanüle auf seinem Arm fest. Angel merkte, wi e sich seine Muskeln verkrampften. Er zwang sich zu ruhiger Tiefenatmung und konnte trotzdem nicht verhindern, dass ein unkontrolliertes Zittern seinen Körper erfasste, um ihn im nächsten Moment in tausend kleine Stücke zu sprengen. Blitze zuckten durch die Dunkelheit und schnitten tiefe Wunden in sein Hirn.
    Die Rotorblätter des H ubschraubers kreisten mit drohendem Wisch-Wisch über ihm. Noch ehe er den Helm absetzen konnte, wurde er aus der Kabine gestoßen. Sie waren viel zu hoch über der vorgesehenen Absprungstelle! Um Gottes willen, weg von den Klippen! Verzweifelt versuchte er, sich senkrecht zu halten, doch der in übermütigem Leichtsinn immer tiefer geflogene Helikopter riss ihn mit sich fort wie ein welkes Blatt. Ein dumpfer Schlag erschütterte seinen Körper und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Während er vergeblich mit Armen und Beinen ruderte, verlor er die Orientierung. Er wusste, dass er unbedingt mit den Fußspitzen voran eintauchen musste, um eine geringe Überlebenschance zu haben. Ansonsten würde der Druck seinen Körper beim Aufprall auf dem Wasser extrem zusammenstauchen – und töten. Siebzig, achtzig Meter freier Fall, dann schlug er mit einer Geschwindigkeit von beinahe hundertvierzig Kilometern pro Stunde auf und ging unter wie ein Stein.
    Schwerelosigkeit und Stille hüllten ihn wie ein schützender Mantel ein. Friedliche Stille nach all dem Lärm, den gebellten Befehlen und Schreien. Er glitt durch das Wasser in ein anderes Reich, in ein geheimnisvolles Blau. Lichtstreifen drangen durch die azurblauen Wellen, als er langsam tiefer sank. Mit einem befreiten Lächeln auf den Lippen schloss er die Augen und ließ sich treiben. Er wusste, der Schmerz würde ihn hier unten nicht finden, und er empfand nichts als wohltuende Ruhe und Geborgenheit. Als er tiefer tauchte, gezogen von unberechenbaren Strömungen, schloss sich die Dunkelheit um ihn. Es war nicht allein die Dunkelheit der Tiefe. Es war eine Dunkelheit des Geistes, die alte Furcht, die ihn zu verschlingen drohte.
    Seine Instinkte hinderten ihn am Atmen, sein Verstand dagegen schien sich in einer Zwischenwelt zu bewegen. Er träumte, dass er die Augen öffnete und ein Licht sah. Er kannte dieses Licht, es war weich, rein und weiß.
    Wo bin ich? flüsterte er.
    Du kennst diesen Ort. Das letzte Mal wolltest du bleiben, erinnerte ihn eine sanfte Stimme.
    Die Kälte des Wassers sickerte in seine Poren. Seine Lungen hatten alle Luft verbraucht, aber es machte ihm keine Angst. Im Gegenteil, plötzlich wurde ihm bewusst, dass er allein es in der Hand hatte, seinen Schmerzen einen Riegel vorzuschieben. Für immer.
    Ja, er würde diese n Weg weitergehen. Dann würde ihn sein Flug durch die Jahre zurück zu seinem Ursprung bringen und ihm seine Eltern zeigen. Eltern, die diese Bezeichnung nicht verdienten. Endlich würde er seiner Mutter gegenüberstehen und sie zur Rede stellen. Sie hatte ihn alleingelassen, als er noch viel zu klein war, um sich an sie zu erinnern. Zu hilflos, um sich gegen die kalten Hände und die schneidend scharfe Stimme des Riesen

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