Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zurück ins Licht (Das Kleeblatt)

Zurück ins Licht (Das Kleeblatt)

Titel: Zurück ins Licht (Das Kleeblatt) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansi Hartwig
Vom Netzwerk:
einem ihm vertrauten Ort durfte er in seiner Wachsamkeit nicht nachlassen! Sie hatten ihn Disziplin gelehrt. Sie hatten ihm eingeprügelt, Überlebenswichtiges von Unwesentlichem zu trennen. Gefühle hatten keinen Platz in seinem Leben.
    Doch was machte er? Konzentrierte seine Sinne auf eine Frau! Eine Frau, die er obendrein nicht einmal kannte, die ihm nichts bedeuten sollte. Die ihn nicht interessieren durfte!
    Erikas Herz blieb einen Atemzug lang stehen. Dann noch einen. Er hat mich nicht erkannt! Er war nicht lediglich in Gedanken versunken, sondern ein ganz anderer.
    „ Die Visite beginnt gleich, Angel. Du hast doch wohl nicht vergessen, wie es hier um diese Zeit zugeht?“
    Das Erkennen blitzte kurz in seinen Augen auf und ließ die Hilflosigkeit erahnen, die ihn gnadenlos quälte. Nur langsam lichtete sich der Nebel in seinem Hirn.
    „ Eri, mein guter Geist, ich kann dir versichern, nichts vergessen zu haben. Schließlich habe nicht ich mich am Kopf verletzt.“ Seine Miene verdüsterte sich. „Einen Moment lang allerdings … Ich war … Es ist eigenartig, ein Teil von mir warnt mich ständig vor irgendeiner Gefahr. Und ich habe keine Ahnung, wieso. Der andere Teil dagegen verspottet mich ständig, weil ich ...“
    Wieder brach er mitten im Satz ab.
    „Wie geht es dir?“
    „ Wie … Mir? Wieso fragst du das?“ Er schien verwundert, dass jemand seinen Gesundheitszustand infrage stellte. „Gut natürlich. Bestens. Würde ich sonst hier sitzen?“
    Die Sorgenfalte auf der Stirn der Oberschwester vertiefte sich, während sie auf ihn zukam, sodass sich Angel Stojanow beeilte weiterzureden: „Aber das Mädchen schläft unruhig. Sie wird bald aufwachen, und dann sollte jemand bei ihr sein. Sie könnte den Schreck ihres Lebens bekommen, wenn sie in einem fremden Bett aufwacht und sich nicht erinnern kann, wie sie dahin gelangt ist. Zumindest würde es mir so gehen“, ergänzte er achselzuckend.
    „ Hört sich das etwa so an, als würdest du aus Erfahrung sprechen?“ Sie blickte mit gespielter Strenge in die frappierend blauen Augen des Mannes. „Und? Wie oft ist es passiert, dass du in fremden Betten aufgewacht bist?“
    Eine Sekunde lang schien es, als wollte er über ihren Scherz lachen. Dann jedoch schwollen seine Halsmuskeln an und in seinen Augen stieg so etwas wie Panik auf, bis sich seine Züge zu einer Maske der Wut verzerrten. Gedanken fuhren wie schwarze Blitze durch die Schatten der Dunkelheit, die in seinem Kopf wogten.
    Sie ist kein Teil deiner Vergangenheit. Lass sie in Ruhe! Sie weiß nichts, hat nicht die geringste Ahnung.
    Erika zuckte zurück , ihr stockte der Atem. Die Zeit stand still, alles um sie herum wurde weiß und eiskalt. Sämtliche Instinkte rieten ihr, die Beine in die Hand zu nehmen und das Weite zu suchen, stattdessen strich sie Angel beruhigend über den Hinterkopf.
    Werde ich verrückt? Oder bin ich es schon längst?
    Wiede r fühlte er sich in zwei Teile gerissen, fühlte, wie er unter Schmerzen starb, während Dunkelheit und Licht um seine Seele kämpften. Die einzige Antwort, die er auf all seine Fragen erhielt, war wie stets nichts als ein inneres Schweigen, das vor Widersprüchen brodelte. Die Vergangenheit, an die er sich nicht erinnerte, nahm in seinen Gedanken Formen von ziellosen Fäden, Fragmenten und Mustern an. Doch es gab keine Gesichter, keine Orte, keine Namen. Er fühlte sich wie ein Teppich, der zerfetzt worden war, aufgelöst, alle Fäden verwirrt und verschlissen, für alle Zeiten zerstört.
    „ Alles in Ordnung, Angel? Ich wollte dich nicht …“
    „ Niemand weiß es, hörst du?“, zischte er. „Es ist passiert. Es passiert immer wieder. Und wenn wir uns den Kopf noch so sehr zerbrechen, wir können uns nicht erinnern, wie wir dorthin gekommen sind. Es ist, als ob … als ob …“
    Er sackte merklich in sich zusammen und fuhr sich mit der flachen Hand über den Kopf. Vorsichtig holte er Luft und sagte schließlich leise: „Ich weiß nicht, was los ist. Die Zeit kann nicht einfach verschwinden, oder? Man kann doch keine Zeit verlieren. Einen Schlüssel oder Regenschirm, mitunter verliert man den Verstand oder die Beherrschung. Aber Zeit? Trotzdem passiert es.“
    Manchmal, in den schlimmsten Augenblicken, sah er, wie sich die Schatten zurückzogen und Bruchstücke seiner Erinnerungen enthüllten. Er wusste, da war noch mehr, sehr viel mehr, und in diesen Momenten erfuhr er wahre Verzweiflung. Es war wie schwarzes Eis, das alles erstarren

Weitere Kostenlose Bücher