Zurück ins Licht (Das Kleeblatt)
hier sitzen, weil sie nicht hierher gehört.
„ Es ist alles gut. Du hast nur geträumt. Es wird alles wieder gut, hab keine Angst. Ich bin bei dir.“
D ie Hand – und mit einem Schlag wusste sie, dass ihr diese fremd war – strich ihr sacht das Haar aus der Stirn. Wieso bloß bekam sie die Augen nicht auf? Sie musste unbedingt sehen, wer da sprach. Diese Stimme! Sie war überzeugt, niemanden mit einer solchen Stimme zu kennen. Sie wollte ihm versichern, dass sie keine Angst hatte, aber trotzdem nicht wollte, dass er sie allein ließ, ihr Hals indes war wie ausgetrocknet und die Zunge klebte ihr förmlich am Gaumen, als sie erneut den Mund öffnete.
„ Nicht. Das ist im Moment nicht von Bedeutung. Lass die Augen zu. Du musst jetzt nicht sprechen. Wir werden uns später vorstellen und miteinander reden, denn viel wichtiger ist, dass du dich ausruhst. Ich bleibe solange bei dir. Es kommt alles in Ordnung, das verspreche ich dir.“
Er tropfte etwas Wasser auf ihre Lippen und wischte ihr mit einem frischen Tuch den Schweiß von der Stirn.
Nichts ist in Ordnung! Überhaupt nichts, weil ich versagt habe! wollte er schreien, als ihn wie so oft während der vergangenen Stunden unbändige, kaum zu kontrollierende Wut erfasste. Ich habe alles vermasselt und dich mit meinem Unvermögen erst in diese Lage gebracht.
A n dieser Tatsache änderte auch die offensichtlich positive Reaktion der Patientin auf seine Worte nichts. Seine Schuldgefühle wuchsen ihm über den Kopf und er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte. Am liebsten hätte er seinen aufgestauten Zorn an jemandem ausgelassen. Ein richtiger Kampf, so von Mann zu Mann, bis Blut floss und einer von ihnen auf der Strecke blieb, wäre jetzt genau das Richtige, damit er sich wieder besser fühlte, dachte er. Und schämte sich im gleichen Moment für dieses Verlangen.
Er richtete seinen Blick auf die junge Frau. Voller Vertrauen hatte sie ihre Wange in seine Handfläche geschmiegt, als glaubte sie, bei ihm Trost und Sicherheit zu finden. Sie hatte ihr Leben in seine Hände gelegt und ahnte nicht im Geringsten, wer er war.
Gebe Gott, dass sie es nie erfuhr!
Unwirsch schüttelte er den Kopf, um diese Gedanken zu vertreiben. Einigermaßen erleichtert registrierte er, dass die Atmung der Patientin flacher wurde, ihre Gesichtszüge glätteten sich durch den Anflug eines leisen Lächelns. Die langen Wimpern warfen Schatten auf ihre Wangen, die allmählich wieder eine rosige Farbe annahmen. Dennoch verfolgte er wachsam die gleichmäßigen Kurven auf dem Monitor neben dem Bett, bereit, sofort einzugreifen, sollte sich daran etwas ändern. Das Schlimmste war überstanden und im Stillen dankte er seinen Kollegen dafür. Die letzten beiden Tage waren zu den längsten seines Lebens geworden.
Vorsichtig lehnte er sich auf dem unbequemen Besucherstuhl zurück. Seine Hand tastete über den linken Rippenbogen. Die Schmerzen in der Brust waren seit dem Morgen stärker geworden. Wahrscheinlich hatten sie nichts weiter zu bedeuten. Ganz sicher nicht. Vermutlich waren sie lediglich ein Zeichen dafür, dass die Wirkung der Analgetika nachließ. Er würde gleich anschließend einen Abstecher auf die Chirurgie machen und aus seinem Schrank Nachschub holen. Es war nicht notwendig, seine Kollegen wegen einer solchen Lappalie zu bemühen und ihnen einmal mehr Anlass zu geben, sich in geradezu abenteuerlichen Mutmaßungen über den Hergang des Unfalls zu ergehen.
Es war alles seine Schuld! Durch seine Unfähigkeit hatte er andere in Gefahr gebracht, Unschuldige. All die Jahre eisernen Trainings schien er in jener Sekunde vergessen zu haben, als er die Frau auf der Straße liegen sah. Er hatte sich von ihr ablenken lassen und diese Unachtsamkeit hatte sich sofort bitter gerächt.
„ Doktor Stojanow, Zeit sich auf den Heimweg zu machen.“
Oberschwester Erika hatte mehr zufällig und nicht ohne Besorgnis seine Anwesenheit am Krankenbett von Susann Seiler bemerkt und deswegen das Zimmer betreten. Sie kam näher.
Als der Mann zu ihrer Bemerkung schwieg, sah sie ihn unglücklich an. Das Herz wurde ihr schwer, während er mit gerunzelter Stirn den Kopf zur Seite legte, als würde er nachdenken.
„Angel? Stimmt etwas nicht?“
Überrascht fuhr er auf und biss im selben Augenblick die Zähne knirschend aufeinander. Langsam, ganz langsam drehte er sich um. Er hatte die Oberschwester nicht kommen hören.
Was war , verdammt noch mal, los mit ihm? Selbst unter diesen Umständen und an
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