Zurück nach Hollyhill: Roman (German Edition)
furchtbar schlechtes Gewissen – das Letzte, was sie wollte, war ihre Großmutter zu ängstigen. »Ich habe versucht, dich anzurufen«, fuhr sie fort, »aber es ist so gut wie unmöglich, hier ein Netz zu finden. Das Dorf ist sehr klein und ungeheuer abgelegen und …«
»Du hast es also gefunden?« In der Stimme ihrer Großmutter klang Verwunderung und Erleichterung mit. »Dem Himmel sei Dank! Ich dachte schon, du irrst mutterseelenallein im Moor umher, du ahnst nicht, was ich mir alles vorgestellt habe.«
»Mir geht es gut – bestens«, versicherte Emily schnell. Sie warf einen Blick zur Tür, drehte sich um und ging auf das Fenster zu. Was sollte sie ihrer Großmutter am Telefon sagen? Dass ein fremder Junge sie mitten im Dartmoor aufgegabelt und in seinem Auto querfeldein hierher gebracht hatte? Dass die Bewohner dieses Dorfes vielleicht nett, aber dennoch merkwürdig waren? Das das Dorf selbst merkwürdig war? Dass sie ihre andere Großmutter gefunden hatte?
Emily entschied sich für einen Teil der Wahrheit, den Rest konnte sie nach ihrer Rückkehr erzählen.
»Ich bin zufällig jemandem begegnet, der das Dorf kannte«, erklärte sie und fügte dann schnell hinzu: »Und der hat mich hergebracht. Dann habe ich mir ein Zimmer genommen und versucht, dich anzurufen. Es hat eine Weile gedauert, bis ich festgestellt habe, dass hier kein Netz zu bekommen ist, weshalb mir der Pfarrer nun sein« – Emily geriet kurz ins Stocken – » Telefon zur Verfügung gestellt hat.«
»Der Pfarrer?«, fragte ihre Oma verblüfft. Emily war froh, dass die Nachfrage nicht demjenigen galt, der sie hergebracht hatte, weshalb sie sich beeilte zu antworten: »Ja, der Pfarrer. Er scheint der Einzige hier mit einem Telefongerät zu sein.« Emily seufzte. »Hollyhill ist …« – sie stockte auf der Suche nach den richtigen Worten. »Es ist irgendwie altmodisch hier«, erklärte sie und ihr Blick fiel durch das Fenster auf die verschnörkelten Laternen vor dem Haus. »Ein bisschen so, als wäre die Zeit stehengeblieben.«
Sie hörte ihre Großmutter schnauben. »Dann hoffe ich, dass du die Zeit nicht vergisst, bis du dich das nächste Mal bei mir meldest«, sagte sie streng.
Emily musste grinsen. »Geht es dir denn auch gut, Omi?«
»Natürlich geht es mir gut! Mir wäre es noch besser gegangen, hätte ich früher von dir gehört.« Sie machte eine kurze Pause. »Hast du schon jemanden getroffen, der Esther kannte?«, fragte sie versöhnlicher.
»Ich bin gleich zu einem Abendessen im Pub eingeladen«, erwiderte Emily. »Dort werden auch alte Freunde von Mama sein, wurde mir gesagt.« Dass auch ihre »andere« Großmutter dabei sein würde, erwähnte Emily nicht. Sie wollte die Gefühle ihrer Oma nicht noch mehr verletzen.
»Hör mal, ich sollte auflegen«, sagte sie und warf unwillkürlich einen Blick über die Schulter zur Tür, aber dort rührte sich nichts. »Ich weiß nicht, wie teuer es ist, mit diesem Ding zu telefonieren – ich werde auf jeden Fall versuchen, mich die nächsten Tage noch einmal zu melden.«
»Aber ist bei dir denn auch alles in Ordnung, Schatz? Fühlst du dich wohl? Sind alle nett zu dir?«
Emily dachte an den Tag im Wald und erschauerte. »Alles prima«, log sie und fragte dann schnell: »Omi, kannst du mir bitte einen Gefallen tun? Ich kann Fee nicht erreichen, schon seit gestern nicht. Könntest du sie zu Hause auf ihrem Festnetz anrufen und ihr sagen, dass sie ihr Handy einschalten soll? Ich würde gern mit ihr reden.«
»Natürlich kann ich das. Vielleicht kommt sie auch demnächst her und bringt deine Tasche zurück.«
»Meine Tasche?«, fragte Emily verdutzt.
»Ich dachte, du wüsstest Bescheid?« Ihre Großmutter klang verunsichert. »Fee war gestern Vormittag hier, kurz nachdem du zum Flughafen gefahren bist. Sie sagte, du hättest ihr erlaubt, deine Aktentasche für ihren ersten Arbeitstag in der Kanzlei auszuborgen. Stimmt das denn nicht?«
Emily zögerte einen Moment. »Doch – doch, natürlich«, versicherte sie schließlich, »ich hatte es wohl nur vergessen.« Diese kleine Heuchlerin , dachte sie. Fee hatte sie ewig wegen dieser Tasche aufgezogen, die Emily sich an ihrem letzten Schultag gekauft hatte, quasi symbolisch für den neuen Lebensabschnitt mit Uni und Studium. »Ja, Fräulein Rottenmeier, nein, Fräulein Rottenmeier«, hatte sie gesäuselt und behauptet, mit dieser Art von »Clutch« werde sie wohl keinen Mitstudenten hinter seinem Mikroskop hervorlocken.
»Ruf sie
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