Zurück nach Hollyhill: Roman (German Edition)
rief Silly, versetzte Emily einen leichten Schubs in dessen Richtung und lief dann selbst auf ihn zu. »Hör auf zu kreischen«, schalt sie lachend, während sie sich bei ihm unterhakte. »Was soll unser Gast von dir denken?«
Hm, dachte Emily. Interessante Frage.
Während sie langsam auf die beiden zuging, ließ Joe endlich die Hand von seinem Mund sinken. Emily fiel auf, dass er wohl doch eher Junge war als Mann, sein Outfit hatte ihn älter erscheinen lassen als er war. Emily schätzte ihn auf achtzehn, vielleicht auch siebzehn oder neunzehn, ihr Alter jedenfalls und das von Silly und Matt, denn sein Gesicht war unter dem pomadeglänzenden Haar weich und irgendwie bubenhaft, die braunen Augen warm und freundlich. Sie sahen ihr immer noch groß und gerundet entgegen. Als er ihr jetzt die Hand reichte, schrieb er damit einen so eleganten Bogen in die Luft, dass es beinahe damenhaft wirkte.
»Emily!«
Er betonte das E wie ein langgezogenes Ä und ließ den Rest ihres Namens wie ein Gummiband hinterher schnalzen. Emily musste sich ein Lachen verkneifen, diese Begrüßung war einfach zu theatralisch. Und unglaublich antiquiert.
»Hallo, Joe«, sagte sie mit ernster Miene und ergriff die Hand des Jungen. »Ähm – Silly hat mir schon viel von dir erzählt. Ist das dein Laden?«
Joe spitzte die Lippen, neigte den Kopf und betrachtete Emily einige Sekunden lang.
»Sind das farbige Kontaktlinsen?«, fragte er plötzlich.
Emily öffnete überrascht den Mund, es kam aber kein Ton heraus.
»Natürlich nicht«, antwortete Silly an ihrer Stelle und versetzte Joe einen Klaps auf den Arm. »Du bist so dumm! Esther hatte doch die gleiche Augenfarbe!«
Jetzt weiteten sich Joes Augen wieder ein wenig, während er seinen Blick von Emily löste, um dann Silly strafend anzusehen.
»Augenfarben sind auf diesen ausgeblichenen Fotografien wahrlich schwer zu erkennen«, sagte er gestelzt.
Silly wurde rot. »Natürlich«, murmelte sie.
Joe wandte sich wieder Emily zu. »Mit farbigen Kontaktlinsen lässt sich eine Menge anstellen«, erklärte er ernst. »Nicht, dass du das nötig hättest. Solche flussgrünen Augen sind wirklich selten. Und dazu noch diese dunklen Haare. Gefärbt oder echt? Da ist ja Rot mit drin!«
Während Joe seinen Arm von Silly löste und mit seiner ausgestreckten Hand auf Emilys Haarspitzen zusteuerte, wich diese – unauffällig, wie sie hoffte – einen kleinen Schritt zurück.
»Ich …«, begann sie, aber dann entkam ihr doch ein nervöses Lachen. Gab es hier wirklich keinen Menschen, der sich ansatzweise normal verhielt? Sie räusperte sich.
»Ja, also, Silly hat angedeutet, dass du so eine Art Modeguru hier im Dorf bist«, sagte sie zu Joe, der seine Hände inzwischen vor seinem Körper gefaltet hatte. Er stand stocksteif, genauso wie Silly. Wie zwei Schießbudenfiguren. Und beide sahen sie erwartungsvoll an. Herrje.
Emily seufzte. »Alles echt. Keine Farbe, keine Kontaktlinsen. Keine Schönheits-OP bislang. Nur Wasser und Seife.«
Joes Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen. »Ich wusste es!«, quiekte er strahlend, während er sich so schnell bei ihr unterhakte, dass Emily nicht mehr zurückweichen konnte. Er schob sie in Richtung seines Ladens und redete unaufhörlich weiter.
»Dieser blasse Teint ist wirklich das große Los – so edel, so elegant. Viel müssen wir an dir eigentlich nicht mehr richten, vielleicht noch ein bisschen Lidstrich, ein wenig Rouge; Lippenstift würde ich weglassen, das wirkt oft zu aufgesetzt, womöglich nehmen wir ein klein wenig Gloss, dann erscheinen die Lippen weicher, und …«
Während Joe, der eigenartigste Friseur, den Emily je getroffen hatte, nicht mehr aufhörte zu reden, sah sie sich verzweifelt nach Silly um und entdeckte zu ihrem Entsetzen Matt, der in der Tür zu seiner Scheune lehnte, einen Kaffeebecher in der Hand. Sie konnte ihn über Joes Geschnatter nicht hören, doch sie war sich sicher, dass er lachte. Seine Schultern bebten leicht, und sein Grinsen konnte sie bis hierher sehen. Sie spürte, wie sie errötete und wandte sich schnell ab.
Wunderbar, dachte sie. Wirklich ganz toll.
Emily konnte erst wieder durchatmen, als Joe sie vollständig in seinen Laden geschoben hatte und sie nicht mehr Matts Blick in ihrem Rücken spürte. Liebe Güte, wie peinlich war das denn? Was dachte er jetzt von ihr? Dass sie eines dieser eitlen, hohlhirnigen Mädchen war, die die hohe Schule des Schminkens tatsächlich für eine weiterführende Lehranstalt
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