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Zusammen Allein

Titel: Zusammen Allein Kostenlos Bücher Online Lesen
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ihr Blick umwanderte mich weiträumig. In der Küche wurde es sehr still. Draußen spielte der Wind mit den jungen Pappelblättern, schickte seine Melodie durch das angelehnte Küchenfenster. Weil ich zitterte, reichte mir Petre meinen Anorak.
    Danach wurde es ernst. Die Männer mussten gehen.
    »Spät ist es geworden«, schimpfte Puscha. »Ihr beide verduftet jetzt.«
    Mir fiel auf, dass sie sich mit
Gute Nacht
,
noapte bună
, statt mit
Servus
verabschiedeten.
    »Jetzt zu dir.« Sie war beim Hochdeutsch geblieben. »Bist ein armes Hascherl.«
    »Woher kennst du mich?«, unterbrach ich sie. Im gleichen Atemzug wollte sie wissen: »No, was willst du?«
    Beide blieben wir der Gegenseite eine Antwort schuldig. Wieder dieses Schweigen, so tief wie der Snagov und ebenso breit. Aus Worten hätte man eine Brückebauen können. Aus einer Umarmung auch. Doch mich ergriff Mutlosigkeit, ich wollte nicht betteln. Mein Blick fiel auf den Koffer. Koffer besitzen die Eigenheit, sehr einsam auszusehen, und ich spürte wieder diesen Druck hinter dem rechten Auge.
    »Schau, ich habe keinen Platz für dich.« Endlich begann sie zu erzählen. Das Haus sei groß, ja, das stimme. Ihr verstorbener Mann und sie hätten es vor acht Jahren gekauft. Dann sei er zur ewigen Jagd aufgebrochen. Sie zeigte zum Plafond. Das Haus sei bezahlt, das sei nicht das Problem, aber die Wohnraumbehörde hätte ihr Untermieter hineingesetzt.
    »Redest du von meinem Großvater?«
    »Blödsinn, nein, der Alte war Rumäne. Ich habe ihn nach dem Krieg geheiratet.«
    »Deshalb nennen sie dich die Hure?«
    Ein tiefes Lachen, dazu ein Schlag auf den Tisch. Das Holz vibrierte.
    »Wer hat dir das gesagt?«
    »Vater hat dich eine Hure genannt, Gicu auch, mehr als einmal.«
    »Ein Lehrer hat immer recht, bei einem hohlköpfigen ehemaligen Briefträger bin ich mir nicht so sicher.« Wieder dieses Lachen, sie lachte wie eine Hexe, rückwärts. Die Töne schlugen einen Purzelbaum, bevor sie den Gaumen verließen. Erschrocken hielt ich mir die Ohren zu.
    »Schau dich um«, setzte sie ungerührt ihre Erklärung fort und begann wie nebenbei, ihren Schmuck abzulegen. Sorgsam, Stück für Stück. Auch ich wollte mich ablegen. »No, habe ich nur ein Zimmer und diese Küche hier. Das ist alles, was mir geblieben ist.«
    »Ich kenne niemanden, der noch im eigenen Haus wohnt, wieso du?«
    »Weil ich gut geheiratet habe, mein Kind. Das Glück fliegt durch die Luft. Aber es gleicht einem unscheinbaren Birkensamen. Muss man schon genau hinschauen. Mein Alter war ein einfacher Maschinist. In seinem ganzen Leben hat er nur zwei Bücher gelesen.
Das Kapital
von Marx und
Das Manifest der Kommunistischen Partei
von Karl Marx und Friedrich Engels. Er hat beide nicht verstanden. Aber die Partei liebte ihn und machte ihn zum Fabrikchef.«
    »Wieso hat Mamusch nie von dir erzählt?«, warf ich ein.
    »Joi, da musst du schon deine Mutter fragen. Sie hat bestimmt, dass du bei der Eri wohnst, no, schaust du. Wir rufen gleich dort an.«
    Entschlossen blickte sie auf ihr Handgelenk. Doch als sie die Uhrzeit sah, schüttelte sie zweifelnd den Kopf. Ohne Schmuck wirkte sie älter, beim Aufstehen stützte sie sich mit beiden Händen auf der Tischplatte ab. Der Stuhl wackelte bedenklich.
    »Aber ich geh nicht zurück.«
    Lange schauten wir uns an, ohne etwas zu sagen. Zwei Kampfhähne, die Stärke des anderen auslotend. »
    Kind, red nicht. Du kriegst das hin, und das Elend wirst du dabei nicht neu erfinden müssen. Es ist ja nur für ein paar Monate, höchstens für ein paar Jahre. Deine Eltern haben bestimmt einen Antrag auf Familienzusammenführung gestellt.«
    »Das ist mir egal, ich werde auch nicht in den Westen nachreisen.«
    »Wie bitte? Wiederhol das für Menschen, die schonalles gehört haben – aber noch nie solch eine Dummheit.«
     
    Nach Worten ringend schaute ich mich in der Küche um. Sie war unglaublich groß und luxuriös eingerichtet. Acht Stühle fanden um den Tisch herum Platz, acht. Erst jetzt fiel mir auf, dass eine dunkle Einbauküche zwei komplette Wände belegte. Der Eiskasten und der Backofen waren in die Möbel integriert. So etwas kannte ich nur aus Westkatalogen. Trotzdem war noch Platz für eine Kredenz geblieben, in der das Sonntagsgeschirr reinweiß hinter Glas schimmerte. Ich musste unbedingt herausfinden, warum man diese reiche Verwandte vor mir verheimlicht hatte.
    »Rumänien ist meine Heimat, meine Freunde sind hier«, log ich, »und ich habe alles, was ich

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