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Zusammen Allein

Titel: Zusammen Allein Kostenlos Bücher Online Lesen
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Aber Petre tauchte am Abend nicht auf, und die Nacht verbrachte er außer Haus. Sofort verwandelte sich die lodernde Flamme meiner Hoffnung in ein deprimiertes Flämmchen. War ich auf dem Holzweg? Um diese Frage zu überprüfen, beschloss ich, Petre so genau wie möglich zu beobachten und meine und seine Gefühle zu protokollieren. Noch am gleichen Abend begann ich damit, ebenfalls Tagebuch zu führen. Und bereits am nächsten Tag musste ich Karin in mein Geheimnis einweihen. Sie nickte, als hätte sie nichts anderes erwartet. Doch erst als ich nachbohrte, erzählte sie:
    »Wenn zwei Unverheiratete unter einem engen Dach, nein, wenn zwei Unverheiratete so eng unter einem Dach leben, dann ist es nur eine Frage der Zeit, wann einer der beiden sich für den anderen interessiert.« Ihre lange Nase zeigte in die Ferne. Sie tat, als wüsste sie, wovon sie sprach.
    »Aber er hat mich nie angeschaut.«
    »Wer weiß«, sagte sie vieldeutig. »Schließt du nachts dein Zimmer ab?«
    »Was soll ich tun?«
    »Tja, Gott schenkt dir eine Nuss, doch er knackt sie nicht für dich.«
    Ihre dummen Sprüche würden mich nicht interessieren, sagte ich grob, und mit Andeutungen wäre mir auch nicht gedient. Woraufhin sie mir Kontra gab und wir uns ordentlich stritten. Das war weder schön noch produktiv. Und da wir miteinander keine Übung hatten, im Streiten nicht, im Verzeihen nicht, lag unsere junge Freundschaft eine ganze Woche lang auf Eis.
     
     
    Meine Tante hatte es aufgegeben, mich zurückholen zu wollen. Aber jede Woche kam sie mit einem Brief vorbei.
    »Von deinen Eltern.«
    »Nein«, korrigierte ich, »von Mamusch, Tata unterschreibt nur.« Das interessierte sie nicht, sie wollte wissen:
    »Was schreiben die beiden?«
    »Mamusch schreibt, dass ich unbedingt wieder zu euch ziehen soll, sie schreibt, dass sie sich die Haare ausreißt bei dem Gedanken, dass ich hier lebe.«
    »No, warum hörst du nicht auf sie?«
    Das Haus meiner Großmutter betrat Erikatante nie. Wie ein nervöses Pferd, mit den Füßen scharrend und sich immer wieder umschauend, blieb sie draußen auf dem Trottoir stehen. Warum ich den Eltern nicht antworten würde, wollte sie von mir wissen, und dass ich ein undankbares Kind sei.
    »Ja, das bin ich. Und ihr seid verlogen. Wieso sagt mir niemand, warum Puscha wie eine Hexe, nein, wie etwas noch viel Schlimmeres behandelt wird?«
    »No, frag sie doch, deine Puscha.«
     
    Eine Woche später überreichte Erikatante mir das erste Mutterpäckchen. Neugierig wie immer schaute sie mich an.
    »Willst du reinkommen?«
    »Nein!«
    Bestimmt hätte sie mir auf die Frage, ob sie nicht neugierig auf den Inhalt des Paketes wäre, eine Antwort gegeben, einen ganzen Antwortenberg, aber ich fand, sie hatte ihre Chance gehabt.
    »Dann Servus.«
    Das Päckchen hatte drei Wochen lang irgendwo an der Grenze gelegen.
    »Absicht«, sagte Misch, »damit die Nahrungsmittel verderben, damit es dir nicht besser geht als jedem x-beliebigen Zollbeamten, der leider über keinerlei Kontakte in den Westen verfügt.«
    »Ach, hör schon auf, du verdirbst uns den Spaß«, unterbrach ihn Puscha.
    Wir ließen Misch links liegen, und ich machte mich ans Auspacken.
    So ein Westpaket muss man sich wie eine Wundertüte vorstellen. Es beginnt bei der Aufschrift, die mit einem Filzstift vorgenommen worden war, den man in Rumänien nicht hätte kaufen können. Das Packpapier sah trotz der weiten Reise, der langen Lagerung und dem vorgeschriebenen Öffnen an der Grenze neuwertig und so stabil aus, dass wir es anschließend für allerlei Bastelarbeiten verwendeten. Ein Karton kam zutage, der das Innere wie ein Heiligenschrein umschloss und mit einer verheißungsvollen Werbeaufschrift versehen war.

    Was Milchshakes waren, wussten wir nicht, aber wir hätten gerne welche probiert. Der Karton roch köstlich. Natürlich hoben wir auch ihn auf; er diente jahrelang als Aufbewahrungsort für Stoffreste. Dann kam das Seidenpapier zutage, es war durch die wühlenden Hände eines Beamten in Mitleidenschaft gezogen worden, aber darunter lagen die Schätze, und die sahen intakt aus. Eine feierliche Stille hatte sich in der Küche ausgebreitet, wurde nur durch zaghafte »Ohs« unterbrochen. Meine Hände schwitzten. Ein leichtes Zittern hatte mich befallen, ich musste mich hinsetzen. Und wieder aufstehen. Denn ich hatte es längst entdeckt, das kräftige Indigoblau. Neben Strumpfhosen, BHs, Deodorant und Suppenbrühe endlich die lang ersehnte Westjeans. Ich zog sie

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