Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Zusammen Allein

Titel: Zusammen Allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
VerzweifelteStimmen riefen nach dem Alten. Er war sehr kostbar, seine Rente sicherte das Überleben. Sie fanden ihn nicht. Dann fanden sie ihn doch. Draußen im Hof saß er auf der Bank und wartete darauf, dass ihn jemand zum Abendessen hereinholte. Es hatte geregnet, nur ein kurzer Schauer, doch der alte Mann zitterte am ganzen Leib. Rührend kümmerten sie sich um ihn. Zogen ihn vor allen Augen aus, steckten ihn in einen Morgenmantel. Dann ging es wieder ans Essen. Eine Scheibe Brot bekam der halbseitig gelähmte Großvater, und aus dem Eiskasten holte die Erikatante ein Glas mit Fleischpastete, die sie auf die Großvaterbrotscheibe strich. Während sie den Alten fütterte, griff ich nach der Pastete, bekam jedoch einen Schlag auf die Hand. Alle erstarrten. Auch Gicu, der Schläger.
    »Îmi pare rău«, entschuldigte er sich.
    »Der Lehm ist gut für ihn, der Spurenelemente wegen«, betonte Erikatante, »aber du bist ja noch so jung.«
    Wie ein Schraubstock umschloss ihre Hand das Glas mit dem bräunlichen Inhalt. Unter dem Tisch kneteten die Zwillinge ihre Knie, um nicht laut loszulachen. Da ging ich. Und begrub meinen Plan, nach Familiengeheimnissen zu forschen.
    Als ich zu Hause ankam, war es irgendetwas nach dreiundzwanzig Uhr.
    »Was bist du für eine Figur, he?«, begrüßte mich Puscha mit keksgelbem Gesicht. Ihre Stimme hatte einen merkwürdig weinerlichen Klang. »Agnes, umsonst wirfst du mir einen solchen Blick zu.«
    Wie jeden Mittwoch hatte sie Besuch. Immer war sie es, die zum Kränzchen einlud. Ihre beiden Freundinnen,die Ziller Kledi und die Jakobi Irmi, die Einzigen, die sie nicht durch Krankheit oder Auswanderung verloren hatte, lebten in beengten Verhältnissen. Sie blieben immer lange, bis in die Nacht hinein. Zwei Augenpaare also ruhten auf mir, als Puscha unbeirrt fortfuhr:
    »Du bist in mein Leben eingedrungen wie ein Dieb, hast alles durcheinandergebracht, was es zum Durcheinanderbringen gibt, und jetzt: Willst du mich ins Grab bringen, willst du das?«
    Da ich nicht verstand, was sie mir sagen wollte, ging ich zu Bett. Ich wünschte den Anwesenden eine gute Nacht und viel Spaß bei was auch immer.
    »Pletsch mir ja nicht die Tür«, brüllte Puscha mir beleidigt hinterher.
    Später kam sie zu mir ins Zimmer. Im Türrahmen blieb sie stehen. Ich atmete kontrolliert gleichmäßig und war froh, als sie die Tür wieder leise hinter sich schloss.
     
     
    Der Genosse Baggerführer und der Genosse Bauarbeiter klingelten nicht. Sie machten durch Geräusche auf sich aufmerksam. Genosse Bauarbeiter zwickte mit einer Drahtschere den Zaun meiner Großmutter an mehreren Stellen entzwei, Genosse Baggerführer holte eine Säge und kappte einen jungen Ahorn. Nicht die Schere, nicht die Axthiebe hatten mich geweckt, sondern das Ächzen des Baumes. Ein Ächzen wie der langgezogene Schrei eines Bussards. Als er fiel, stand ich am Fenster.
    Innerhalb weniger Stunden wurde zwischen dem Grundstück meiner Großmutter und dem des Nachbarn zur Rechten ein Weg geschoben. Am Nachmittagkamen die Hasenställe weg und Kies wurde aufgefüllt. Danach ruhte die unerklärliche Baustelle. Puscha hatte alle Hände voll damit zu tun, die Hasen zu schlachten und zu verschenken. Beim Versuch, die Hasenställe umzulagern, waren diese zu handlichen Scheiten zerfallen.
    Mit rotverquollenen Augen saß Puscha abends in der Küche. Ich hatte sie an diesem Tag schimpfend erlebt, das war nichts Neues, ich hatte sie hart arbeitend erlebt, auch dieser Anblick war mir vertraut, dass sie aber resigniert, die Hände vors Gesicht geschlagen, wortlos und ohne Appetit bei Tisch saß, das machte mich sprachlos. Kurzzeitig, dann wollte ich es doch wissen.
    »Warum hast du die Hasen auch verschenkt? Du hättest Geld verlangen können.«
    Statt Puscha antwortete Misch. »Verstehst du denn nicht? Beziehungen sind mehr wert als Bares. Sie weint nicht wegen dem verlorenen Geld, sie weint nicht einmal wegen dem Grundstück, sondern weil sie aus Versehen auch dem Tănăsescu Ion einen Hasen abgegeben hat, den dicksten zudem.« Erst danach erfuhr ich den Grund für den staatlich angeordneten Vandalismus. Tănăsescu Ion, wohnhaft drei Häuser weiter, Genosse irgendwas bei der Stadtverwaltung, hatte ein Auto ergattert und benötigte dafür eine Garage. Und das alles hatte meine Großmutter erst später, während der »Geschenkübergabe«, erfahren, die eigentlich eine Bestechung war und somit kaum besser als der Beamtenvandalismus. Es fiel mir schwer, sie

Weitere Kostenlose Bücher