Zusammen Allein
heraus, führte sie an die Nase, schnupperte. Sie roch nach Farbe, nicht nach Westen, doch das störte mich nicht. Andächtig trug ich sie in mein Zimmer und schlüpfte hinein. Von wegen. Im Stehen ging das nicht,ich legte mich flach auf den Boden, hielt die Luft an. Meine Großmutter rief mir etwas hinterher, vielleicht fragte sie, was mit dem Rest sei, vielleicht wollte sie wissen, ob sie das Backpulver haben könne. Ich hörte ihre Worte wie durch Watte. Meine Mundwinkel hatten sich nach oben gekrümmt, glücklich drehte ich mich vor dem Spiegel. In der Länge passte sie exakt. Ich liebte sie vom ersten Augenblick. Wie man ein Tier liebt, das treuherzig zu einem hochschaut. Mit täglicher Zuwendung konnte sie rechnen.
Die Schokolade ließen wir uns auf der Zunge zergehen, das dunkle Vollkornbrot blieb zwischen den Zähnen haften, aber wir aßen es laut schmatzend. Puddingpulver und Fertigsuppen waren noch haltbar, die hoben wir auf. Ganz zuunterst im Paket steckte ein Brief.
Mein Pusselchen,
wir essen nur noch Rama, köstlich , sie soll genauso gut sein wie Butter und sogar gesünder. Oben drauf kommt Nutella, das ist weiche Schokolade. Dein Vater frisst, pardon, er isst das Zeug mit dem Löffel direkt aus dem Glas und wundert sich, wenn er Zahnschmerzen bekommt. Zu den Paradeisern muss man Tomaten sagen und zum Kren Meerrettich. Bevor wir einkaufen gehen, überlegen wir uns, welche Wörter es zu ersetzen gilt. Die Nachbarin, die auch die Verkäuferin im Supermarkt ist, fragt trotzdem jedes vierte Mal, woher wir kommen. Dabei rede ich Hochdeutsch und sie einen unverständlichen Dialekt. Wenn ich Servus rufe, lacht sie, aber sonst geht es uns gut. Nur Du fehlst mir zu meinem Glück. Nach den Ferien erfahre ich, ob ich als Lehrerin
anfangen kann. Soll einer verstehen, wieso sie bis nach den Ferien warten müssen. Wollen sie erst schauen, ob alle Lehrer aus dem Urlaub zurückkommen oder ob zufällig neue Schüler vom Himmel fallen und ein ungeahnter Bedarf entsteht? Drück mir die Daumen, ja ! Ich will nicht, dass es mir wie Deinem Vater ergeht. Nie ist er krank, nie versäumt er seine Schicht, doch eigentlich kann er alte Menschen nicht ausstehen.
Viele Pussi
Deine Mamusch.
Auch Petre hatte Semesterferien. Er arbeitete im Capitol. Offiziell als Aushilfskellner, inoffiziell als Attrappe. Touristen verirrten sich kaum noch nach Kronstadt. Eine Woche nachdem ich sein Tagebuch entdeckt hatte, setzten Karin und ich uns in das Restaurant. Wir wollten bedient werden, und wir wollten natürlich Petres Gefühle für mich testen. Petre spielte wunderbar mit, tat, als würde er mich nicht kennen. Sein rechtes Auge aber war ein blinzelndes Etwas. Ich lachte, und er antwortete lachend.
»Was wünschen die Damen zu speisen?« Blinzeln. Sein weißes Hemd, seine schwarze Hose schlugen Falten in Hüfthöhe, vom Dienern und Sitzen.
»Die Speisekarte, bitte.«
Wie ein Fransentuch fielen ihm die dunklen Haare in die hohe Stirn, doch die Locken täuschten nur Dichte vor. In ein paar Jahren würde er kahl sein. Egal, er hatte unglaublich schöne Hände. Und die Art, wie er ging – unglaublich! Zu Hause war mir das nicht aufgefallen. Er ging ja nicht, er tänzelte, als wäre in seinem Innernein Radio. Unbekannte Rhythmen schienen seine Beine zu steuern.
»Die ist aber nicht aktuell.« Er brachte uns eine durch jahrelange Benutzung gezeichnete Mappe, in der ein einzelnes Blatt verkehrt herum lag, handgeschrieben. Außer Karin und mir befanden sich nur noch ein Pärchen und eine Gruppe Arbeiter im Lokal. Aus Erfahrung wusste ich, dass man nicht einfach irgendetwas bestellte, sondern vorsichtig anfragte, ob dies oder jenes vorhanden war.
»Aveţi bere, Bier?«
»Nu avem!«, gab er zerknirscht zu.
»Haben Sie Colonade?«, half Karin.
Gleiche Antwort mit dazu passender geheuchelter Zerknirschung. Er war ein wunderbarer Schauspieler, und die Anzughose seines Vaters stand ihm nicht schlecht. Wenn man die Augen ein bisschen zukniff, glich er einem italienischen Playboy. Selbst im Sitzen bekam ich weiche Knie, und meine Stimme hörte sich heiser an. Geduldig zeigte ich auf die Arbeiter und fragte, was die denn trinken würden.
»Bier«, lautete die Antwort.
»Na also, für uns dasselbe.«
»Geht nicht, die haben sich ihr Bier mitgebracht.« Petre neigte den Kopf wie ein Vogel, dann schaute er sich um und flüsterte uns zu: »Wir probieren es.« Für spezielle Gäste könne er etwas organisieren, tuschelte er und
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