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Zusammen Allein

Titel: Zusammen Allein Kostenlos Bücher Online Lesen
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unterbrach ich sie, »man kann sich auf ihn verlassen.«
    »Nicht einmal das«, gab sie zu. Aber das liege nicht an ihm, sondern am System. »Ist sein Chef besoffen, kann er ganze Schweinehälften aus der Fabrik schmuggeln,hat sein Chef hingegen eine neue Freundin und verzichtet auf Schnaps, sind die Zeiten schlecht.«
    »Ich jedenfalls werde von diesem Fleisch nichts essen, es ist gestohlen. Nein, noch schlimmer: Es fehlt im Geschäft.«
    »Blöd bist du, nur dass du es weißt. Dieses Fleisch kommt nicht in den Verkauf, das kannst du dir merken. Und wenn es dir lieber ist, dass ich sechs Stunden für ein paar Knochen anstehe, dann kannst du das demnächst gerne für mich erledigen.«
    »Aber es ist zu viel«, protestierte ich. »Es ist ungerecht.«
    »Joi, du glaubst, wir werden das Fleisch alleine essen? Das Wenigste davon behalte ich. Gleich morgen tausche ich es gegen Medikamente. So, da hast du deinen Sozialismus. Und jetzt pack mit an, wir müssen es zerteilen.« Sie band sich eine Schürze um, streckte mir ein altes Herrenhemd entgegen.
    »Wer ist krank?«
    »Niemand, aber erstens kommt es anders, und zweitens beruhigt mich die Anwesenheit von Medikamenten.«
    Sie versorgte das Lamm alleine, denn ich verweigerte hartnäckig meine Mithilfe. Petre war mir durch die Lappen gegangen, und überhaupt machte hier jeder, was er wollte, und niemand hielt sich an die sozialistischen Ideale.
     
     
    Am nächsten Tag kam ich erst abends aus der Schule. Trotz Ferien hatten wir die Aufstellung für den morgigen Marsch geprobt, das Lächeln, das Defilieren, dasseitliche Blumenschwenken. Da sah ich, wie Petre das Haus verließ. Diesmal wartete ich nicht, bis Puscha mir eine Aufgabe übertragen konnte, noch in der Uniform, noch mit geflochtenen Zöpfen, folgte ich ihm. Es war wieder spät, nach neun Uhr. Der bevorstehende Feiertag hatte Lebensmittel in die Geschäfte gespült. Die Straßen quollen über, jeder hatte versucht, so viel wie möglich zu ergattern. Jetzt trugen die Menschen die kostbare Beute, ein halbes Kilo Fleisch, ein Stück Salami, ein frisches Brot, ein Stück Käse, nach Hause. Morgen Vormittag würden alle jubelnd defilieren, und am Abend würde das große Feiern im Familien- und Freundeskreis stattfinden.
    Trotz der Wärme trug Petre einen Regenmantel. Unter dem Arm, kaum sichtbar, die Aktentasche. Ich hatte sie schon mehrmals in Mischs Zimmer gesehen. Immer war sie mit Unterlagen, technischem Kram, gefüllt gewesen. Vielleicht traf Petre sich mit einem Freund zum Lernen. Doch er schien kein rechtes Ziel zu haben. Oft blieb er stehen, schaute sich um. Eine Verfolgung war schwierig. Hinter dem Marktplatz stieg er in einen Bus und wechselte schließlich in einen Trolleybus, der uns ins Neubauviertel hinter Bartholomä brachte.
    Neben zwei Männern ging ich in Deckung. Einer jung wie Petre, einer alt, wirklich alt, fast zahnlos und sehr nachlässig gekleidet.
    »Soll ich ihn dir wirklich erzählen?«, fragte der Jüngere.
    »Welche Kategorie?«
    »Einer für fünf Jahre.«
    Der Alte lachte, sein letzter Schneidezahn blitzte. »Nur fünf Jahre Kittchen, der kann nicht gut sein.«Doch der Junge wollte seinen Witz loswerden. Er senkte seine Stimme: »Ein Geheimer verhört einen Kirchgänger:
    ›Gibst du zu, dass du gerade in der Kirche warst?‹
    ›Ja.‹
    ›Gibst du auch zu, dass du die Füße von Jesus Christus am Kreuz geküsst hast?‹
    ›Ja.‹
    ›Würdest du auch die Füße unseres obersten Genossen küssen?‹
    ›Sicher, wenn er dort hängen würde   …‹«
    Plötzlich tauchte Petres schöner Kopf auf. Er schien aussteigen zu wollen. Dass er mich nicht entdeckte, grenzte an ein Wunder. Der Trolley hielt ruckartig, wir stiegen aus. Vorsichtig eilte ich ihm hinterher und ließ ihn nicht mehr aus den Augen. Noch nie hatte ich ihn so nervös erlebt. Zwischen den Blocks konnte ich ihm leicht folgen, denn die Laternen waren aus Sparsamkeitsgründen noch nicht eingeschaltet worden. Und der Mond, schmal, hing verloren am Himmel, ein Silberband, mehr nicht. Auch hier tummelten sich zahlreiche Menschen, es herrschte Jahrmarktsstimmung. Männer und Frauen kamen von der Arbeit in der Zement- oder Traktorenfabrik zurück, Kinder spielten auf dem Trottoir, und ein Junge in meinem Alter präsentierte stolz seinen neuen Roller. Noch nie hatte ich ein solch kleines silbernes Ding gesehen. Die Reifen waren winzig, mit nur einem Finger konnte man lenken. Ein Westfabrikat, ganz klar. Seine Freunde umringten ihn und

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