Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Zusammen Allein

Titel: Zusammen Allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
lang im Geräteschuppen gestanden hatte.
    »Joi, dass ich ihn noch einmal brauchen würde, wer hätte das gedacht«, murmelte Puscha. Kein Wort mehr über die Misswirtschaft im Land, über dieses Schreckgespenst Sozialismus, über den lispelnden Gnom, der es nicht schaffte, seine Untertanen mit dem Lebensnotwendigsten zu versorgen. Kräfte wurden sorgsam eingesetzt, zum Anstehen, zum Holzsammeln. Auch Kohlen gab es keine, deshalb wurde der Ofen mit minderwertigem Zeug gefüttert. Die Rückstände ließen sich als schwarzer Ruß in Puschas Küche nieder.
    Petres Mutter, sonst nie zu sehen und selten zu hören, schrie sich die Lunge aus dem Leib. Der Rauch drang in ihr Zimmer, sie hatte Angst zu ersticken. Ihr Schlafzimmer und das von Misch und Petre mussten getauscht werden. Da sah ich sie zum ersten Mal. Ihr milchigesGesicht war in den hellen Laken kaum zu erkennen. Aus dunklen, tiefliegenden Augen starrte sie mich an. Diese Augen erzählten mehr vom Sterben als vom Leben, und durch die eingefallenen Wangen schimmerten die Knochen. Eine Gänsehaut bildete sich auf meinen Armen, und ich ließ den Stuhl fallen, den ich gerade von einem in das andere Zimmer hatte tragen wollen.
    »Warum bringt ihr sie nicht ins Krankenhaus?«, fragte ich Petre, der mein Entsetzen kommentarlos beobachtete. Es war unser erstes Gespräch seit Monaten.
    »Weil kein Krankenhaus sie aufnimmt, die Ärzte würden sie in ein Heim einliefern. Dort würde sie innerhalb weniger Tage sterben. In Bâile Gorova kratzen sie den Kalk von den Wänden.«
    War es blöd, die naheliegende Frage zu stellen? Ich stellte sie trotzdem.
    »Warum?«
    »Kälte und Vernachlässigung.«
    Darauf gab es nichts zu erwidern. Ich schwieg verlegen und beeilte mich, den Stuhl aufzuheben.
    Hungrig suchte ich an diesem Tag noch ein paarmal Petres Blick, doch er schaffte es jedes Mal, in eine andere Richtung zu schauen. Selbst als ich ihm ein jüngeres Exemplar der inzwischen verbotenen
Prawda
unter die Nase hielt, ich hatte sie unter dem Nachttisch seiner Mutter gefunden, sah er mich nicht an.
    »Die kannst du verbrennen. Es steht nichts Spannendes drin. Gorbatschow spielt sich im Kreml als großer Chef auf, aber uns kommt er nicht zu Hilfe.« Da war ich anderer Meinung, aber ich schaffte es nicht, ihm zu widersprechen.
     
     
    In der folgenden Nacht brachte er seine Freundin mit, wie um mir zu demonstrieren, dass ich chancenlos war. Mira oder Alexandra oder Marina. Singend polterten sie die Stufen nach oben. Ich hielt es im Bett nicht mehr aus, trat vor Petres Tür und horchte. Lange hörte ich nichts. Dann hörte ich es doch. Ein Kichern und Quietschen und Obertonjammern. Es hätte nicht viel gefehlt, und ich hätte gegen die Tür gedonnert. Doch wozu? Heulend ging ich ins Bad und schnitt mir die Haare ab, streichholzkurz, ohne in den Spiegel zu schauen. Danach fegte ich sie sorgsam zusammen und stopfte sie in Petres Schuhe. Mit Füßen trat er mich, das sollte er wissen.
    Puscha japste nach Luft, als sie mich am nächsten Morgen sah. Sie klang wie ein verletztes Tier, und als habe sie Angst zu erblinden, hielt sie sich die Hände vor die Augen.
    »Kruzitürken, wenn du dich schäbig machen wolltest, dann ist dir das mehr als gelungen. Nimm Geld und geh zum Friseur, vielleicht ist noch etwas zu retten.«
    Ich lehnte dankend ab. Wenn man infiziert ist, so richtig krank, dann pfeift man auf die Hilfe von Amateuren, die gar nicht wissen, worum es geht.
     
     
    Der Umzug hatte Petres Mutter nicht gutgetan. Sie starb, wie sie die letzten Jahre über gelebt hatte, einsam, unauffällig. Misch fand sie morgens, als er mit einer Schale Hafergrütze in ihr Zimmer ging.
    »Sie ist kalt wie ein Eisschrank«, meldete er und rief im Büro an. Doch sie gaben ihm nicht frei. So musste die Tote bis zum Abend warten. Weder Puscha nochich trauten uns in ihr Zimmer. Petre hatte auswärts geschlafen.
    Beim Mittagessen sahen Puscha und ich uns an.
    »Bist du froh?«, wollte ich wissen.
    Sie zuckte die Schultern, stieß die Gabel in die Tokană. Die Erleichterung war greifbar.
    »Joi«, seufzte sie, »es ist, wie es ist. Es ist gut für Petre. Endlich bekommt er sein Zimmer zurück. Die Koffer waren schon lange gepackt.«
    »Welche Koffer?«
    »Wenn du über sechzig bist, so wie ich, dann sitzt du auf gepackten Koffern. Er kann jeden Tag kommen und   …« Sie zögerte.
    »Und was?«
    »Dir die geschärfte Sense zeigen.«
    »Er da?«
    Ich sah hoch zum Plafond, folgte ihrem Blick, doch da war

Weitere Kostenlose Bücher