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Zusammen Allein

Titel: Zusammen Allein Kostenlos Bücher Online Lesen
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aus dem Gesicht, ihre Augen schauten lauernd. Ich verstand nicht, dass sie sich schützen musste.
    Mehr als ein Nicken brachte ich nicht zustande. Mir war nicht klar, was sie hören wollte. »Dann komm, es gibt frische Pariserwurst.«
    »Pariserwurst«, wiederholte ich. »Bei dir geht’s immer nur ums Essen. Und nicht nur bei dir, bei Mamusch und Tata ist es genauso.«
    »Joi, worum soll’s denn sonst gehen im Leben. Komm«, wiederholte sie.
    Ich zuckte die Schultern und suchte nach meinen Hausschuhen.
    »Das Essen ist es jedenfalls nicht. Lebt mein Großvater noch?«, bedrängte ich sie in der Küche und durftemit ansehen, wie sie unruhig auf dem Stuhl hin und her rutschte.
    »Joi.«
    Dieses »Joi« glich einem Schrei, kurz und laut.
    »Wo? Kennt Mamusch seine Adresse? Du sagst immer, lass dir nicht alles aus der Nase ziehen. Warum   …?«
    »Meine Nase gehört mir, das kannst du dir merken. Und ich will nichts mehr von diesem Menschen hören.«
    »Aber du hast mir die Hefte gegeben. Und deshalb musst du mir endlich alles sagen. Wenn er lebt, wenn er im Westen lebt, dann hätten meine Eltern regulär den Pass beantragen können, dann hätten sie mich nicht hier   …«
    Ich brach ab und schlug mit der Faust auf den Tisch. Es war eine kleine Faust, es sollte ein kleiner Schlag sein, doch ich traf ein Glas, es fiel um, rollte gegen die Milchflasche, die Milchflasche stieß gegen die Butterdose, und alles donnerte zu Boden. In dem Augenblick kam Petre hereingeweht, in der Hand schwenkte er die Parteizeitung
Scienteia
.
    »Zieht euch warm an«, redete er drauflos, »ein neues Dekret ist verabschiedet worden. Im kommenden Winter soll die Raumtemperatur in Schulen und öffentlichen Gebäuden weiter sinken. Statt der üblichen zwölf Grad auf zehn Grad.«
    Als niemand aufsah, drehte er sich verwundert um. »Das ist ideal für die Kakteen der Hausmeisterehefrauen. Was ist los mit euch, versteht ihr keinen Spaß mehr?«
     
     
    Am folgenden Tag lauerte ich Puscha auf. Noch vor der Schule klopfte ich an ihre Schlafzimmertür. Misch war bereits weg. Sie saß am Schminktisch. Vor ihr lagen die Bürste, die Schminkstifte, diverse Puder und Salben. Hatte sie verschlafen? Sonst machte sie sich vor der Arbeit »schön«.
    »Ob du reden willst oder nicht, ist mir egal, habe ich mir überlegt.«
    »Ein ›Guten Morgen‹ wäre auch nicht verkehrt gewesen«, gab sie zurück. Puscha war dabei, sich die Augenbrauen nachzuziehen, jede Braue so rund wie ein Aquäduktbogen. Sie war gut darin, doch an diesem Tag zitterten ihre Finger.
    »Gab es einen Kontakt zwischen Mamusch und meinem Großvater? Oder zwischen dir und ihm?«
    Ich musste ihr helfen. Das Zittern hörte nicht auf. Während ich den Stift mit Spucke befeuchtete, während ich den verpatzten Bogen übermalte, legte ich Brotkrümelfährten, die sie aus dem Wald herauslocken sollten. »Kann sein, dass ich zu ihm ziehe. Er wohnt doch drüben, nicht wahr?« Gemeinsam betrachteten wir das Ergebnis meiner Arbeit. Sie im Spiegel, ich im Original.
    Puscha schluckte. Sie hustete. Sie räusperte sich, als hätte sie tagelang nicht geredet.
    »Also, dein Großvater hat sich nie mehr bei mir gemeldet, so viel zur Treue. Und deine Mutter«, sie räusperte sich erneut, wie vor einer körperlichen Anstrengung, einem Hochsprung zum Beispiel, »hat gemacht, was sie wollte.«
    Eine Pause entstand, in der sie sich nur kämmte und ich ihr nur zuschaute. Dann stand ich auf und stellte mich hinter sie, sodass sich unsere Augen im Spiegelbegegneten. Zum ersten Mal stellte ich eine Ähnlichkeit zwischen uns fest. Vielleicht war es die Linie unserer Nasen, vielleicht die Augen.
    »Und?«, bohrte ich. »
    Ob sie ihrem Vater geschrieben hat, musst du Pilla selbst fragen.«
    Ich dachte aber nicht daran, meine Mutter da reinzuziehen. Sie sollte sich selbst um ihr Leben kümmern. So wie ich mich um meines kümmerte. Ohne Bescheid zu sagen, ging ich aus dem Haus. An diesem Tag schwänzten Karin und ich die Schule. Ich hatte ihr einfach zu viel zu erzählen.
    Als ich spätabends in mein Zimmer zurückkehrte, waren die Hefte verschwunden.
     
     
    Immer noch kam wöchentlich ein Brief aus dem Westen, immer noch antwortete ich nicht. Trotzdem erhoffte ich mir einen Anruf. Mir fehlten Mamuschs Duft und ihre Stimme. Und ich wollte sie nun doch nach meinem Großvater fragen. Aber sie rief nicht an. Sooft ich konnte, hörte ich
Radio Freies Europa
. Es war verboten, aber das war mir inzwischen egal. Gegen jedes

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