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Zusammen ist man weniger allein

Zusammen ist man weniger allein

Titel: Zusammen ist man weniger allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Gavalda
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Camille. An dem Tag, wo du aufgetaucht bist, Camille, hatte ich eine üble Begegnung. Es war zu kalt, und ich hatte keine große Lust mehr, mich durchzuschlagen, glaub ich. Aber okay. Du warst da. Also bin ich mit dir gegangen. Ich bin halt ein Kavalier.«
    Stille.
    »Soll ich noch mehr erzählen, oder hast du schon genug?«
    »Schenk mir noch eine Tasse ein.«
    »Entschuldige. Das liegt an dem Alten. Ich red wie ein Wasserfall.«
    »Für mich kein Problem.«
    »Nee, und außerdem ist es wichtig. Na ja, auch für dich, glaub ich.«
    Sie runzelte die Stirn.
    »Deine Hilfe, deine Bude, dein Futter ist eine Sache, aber ich sag dir, ich war wirklich auf ’nem fiesen Trip, als du mich gefunden hast. Ich war im Rausch, verstehst du? Ich wollte zurück und sie sehen, ich … ich habe … Und dieser Typ hier hat mich gerettet. Dieser Typ und deine Bettlaken.«
     
    Er hob es auf und legte es zwischen sie. Camille erkannte das Buch. Es waren die Briefe van Goghs an seinen Bruder.
    Sie hatte vergessen, daß es hier oben lag.
    Nicht, daß sie es nicht ausgiebig mit sich herumgeschleppt hätte.
     
    »Ich hab es aufgeschlagen, um mich zurückzuhalten, um nicht durch die Tür zu gehen, weil’s hier nichts anderes gab, und weißt du, was das Buch mit mir gemacht hat?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Es hat das, das und das mit mir gemacht.«
    Er hatte es genommen und sich damit auf den Kopf und beide Wangen geschlagen.
     
    »Ich lese es jetzt schon zum dritten Mal. Das … Das alles ist für mich. Da drin steht alles. Den Typ kenn ich in- und auswendig.
    Das bin ich. Das ist mein Bruder. Alles, was er sagt, versteh ich. Wie die Sicherung bei ihm durchbrennt. Wie er leidet. Wie er immer wieder dasselbe vor sich hinsagt, versucht, die anderen zu verstehen, sich infrage zu stellen, wie er von seiner Familie verstoßen wurde, von seinen Eltern, die nix kapieren, die Aufenthalte in der Klinik und alles. Ich … ich will dir nicht mein ganzes Leben erzählen, keine Angst, aber es ist irre, weißt du? Wie er mit Mädchen umgeht, wie er sich in eine hochnäsige Pute verliebt, wie er verachtet wird, und an dem Tag, an dem er beschließt, mit dieser Hure zusammenzuziehen … Die schwanger ist … Nee, ich erzähl dir nicht mein Leben, aber es gibt schon Übereinstimmungen, da wird mir schwindlig. Außer seinem Bruderherz, wenn überhaupt, hat kein Mensch an ihn geglaubt. Kein Mensch. Aber er, so zerbrechlich und schwachsinnig er ist, glaubt daran, er … Na ja … Er behauptet es zumindest, daß er den Glauben hat, daß er stark ist und eh … Als ich das zum ersten Mal gelesen hab, fast in einem Rutsch, weißt du, hab ich den kursiven Text am Ende nicht kapiert.«
    Er schlug ihn auf:
    » Brief, den Vincent van Gogh am 29. Juli 1890 bei sich trug. Erst als ich am nächsten oder übernächsten Tag das Vorwort las, hab ich kapiert, daß er sich umgebracht hat, der Idiot. Daß er den Brief gar nicht abgeschickt hat, und ich … Scheiße, ich kann dir gar nicht sagen, wie mich das fertiggemacht hat. Alles, was er über seinen Körper sagt, spür ich auch. Wie er leidet, das sind nicht nur leere Worte, verstehst du? Das sind … Na ja, ich … seine Arbeiten sind mir scheißegal. Das heißt, nee, das stimmt nicht, aber dafür hab ich es nicht gelesen. Was ich gelesen hab, ist, wenn du nicht in Reih und Glied marschierst, wenn du anders bist, als die anderen wollen, dann leidest du. Du leidest wie ein Tier, und am Ende verreckst du. Von wegen. Ich will nicht verrecken. Aus Freundschaft zu ihm, aus Brüderlichkeit will ich nicht verrecken. Ich nicht.«
     
    Camille war ganz platt. Zisch! Gerade war ihr die Asche in den Kaffee gefallen.
     
    »Hab ich grad völligen Schwachsinn erzählt?«
    »Nein, im Gegenteil … ich …«
    »Hast du ihn denn gelesen?«
    »Ja klar.«
    »Und du … Hast du nicht mitgelitten?«
    »Ich habe mich vor allem für seine Arbeiten interessiert. Er hat spät damit angefangen. Ein Autodidakt … Ein … Kennst du eigentlich seine Bilder?«
    »Die Sonnenblumen, meinst du? Nee, ich hab ’ne Zeitlang überlegt, ob ich mir ein Buch anschauen soll oder so, aber ich hab keine Lust, mir sind meine eigenen Vorstellungen lieber.«
    »Behalt es. Ich schenk’s dir.«
     
    »Weißt du … Wenn ich das alles irgendwann mal hinter mich gebracht hab, bedank ich mich bei dir. Jetzt kann ich das nicht. Ich hab’s schon gesagt, ich geh echt auf’m Zahnfleisch. Außer dieser großen Flohmarkttasche hab ich nichts

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