Zusammen ist man weniger allein
Boden zu schlafen, die sieben Stockwerke hochsteigen zu müssen und sich am Treppengeländer festzuhalten, um nicht zu fallen.
Es war vertrackt.
Sie wußte nicht mehr, wo sie hingehörte, und außerdem mochte sie Philibert. Warum sollte sie sich ständig geißeln und sich mit zusammengebissenen Zähnen an die Brust schlagen? Ihrer Unabhängigkeit zuliebe? Was für eine Errungenschaft. Sie hatte jahrelang nur dieses Wort im Mund geführt, und was hatte es ihr gebracht? Wo war sie gelandet? In diesem Loch, wo sie die Nachmittage damit verbrachte, eine Zigarette nach der anderen zu rauchen und mit ihrem Schicksal zu hadern? Wie erbärmlich. Es war erbärmlich. Bald war sie siebenundzwanzig und hatte im Leben noch nichts erreicht. Keine Freunde, keine Erinnerungen und auch keine Veranlassung, sich selbst nur die geringste Anerkennung zu zollen. Was war passiert? Warum hatte sie es nicht geschafft, mit ihren Händen zwei oder drei etwas wertvollere Dinge zu umschließen und sie festzuhalten? Warum?
Sie war nachdenklich. Sie war erholt. Und wenn der drollige Kauz ihr etwas vorlas, wenn er leise die Tür schloß und mit den Augen rollte, weil der andere Gangster seine »Zulu-Musik« hörte, lächelte sie ihm zu und entkam einem Moment dem Auge des Orkans.
Sie hatte wieder angefangen zu zeichnen.
Einfach so.
Für nichts. Für sich. Zu ihrem Vergnügen.
Sie hatte ein neues Skizzenheft genommen, ihr letztes, und hatte sich damit angefreundet, indem sie alles in ihrer Umgebung darin festhielt: den Kamin, die Muster der Tapete, den Fensterriegel, das kindische Lachen von Sammy und Scooby Doo, die Bilderrahmen, die Gemälde, die Kamee der Dame und den nüchternen Gehrock des Herrn. Ein Stilleben von ihren Kleidern, bei dem die Gürtelschnalle auf den Boden hing, die Wolken, den Kondensstreifen eines Flugzeugs, die Baumkronen hinter dem schmiedeeisernen Geländer des Balkons und ein Porträt von sich auf dem Bett.
Wegen der schwarzen Flecken auf dem Spiegel und ihrer kurzen Haare sah sie aus wie ein kleiner Junge mit Windpocken.
Sie zeichnete wieder, wo sie ging und stand. Blätterte die Seiten um, ohne darüber nachzudenken, und hielt nur kurz inne, um etwas chinesische Tinte in ein Schälchen zu gießen und ihren Füllfederhalter aufzufüllen. Sie hatte sich seit Jahren nicht so ruhig, so lebendig, so wunderbar lebendig gefühlt.
Was sie jedoch vor allem mochte, war Philiberts Mimik. Er war so von seinen Geschichten gefangen, sein Gesicht wurde plötzlich ganz ausdrucksstark, ganz erregt oder ganz bedrückt (ach! die arme Marie-Antoinette …), so daß sie gebeten hatte, ihn zeichnen zu dürfen.
Natürlich hatte er der Form halber etwas gestammelt, dann aber ganz schnell das Kratzen der Feder vergessen, die über das Papier huschte.
Manchmal hieß es:
Aber Madame d’Étampes war keine Liebhaberin von der Art der Madame de Châteaubriant, Bagatellen genügten ihr nicht. Sie träumte vor allem von Gunstbezeugungen für sich und ihre Familie. Nun hatte sie allerdings dreißig Brüder und Schwestern … Mutig ging sie an die Arbeit.
Geschickt verstand sie es, sich ruhige Momente zunutze zu machen, die ihr die Atempausen zwischen zwei Umarmungen gewährten, um dem König, befriedigt und atemlos, die Ernennungen und Beförderungen zu entlocken, die sie wünschte.
Allmählich wurden alle Pisseleus mit wichtigen, gemeinhin kirchlichen Ämtern ausgestattet, weil die Mätresse des Königs »eine Religiöse« war …
Antoine Seguin, ihr Onkel mütterlicherseits, wurde Abt von Fleury-sur-Loire, Bischof von Orléans, Kardinal und schließlich Erzbischof von Toulouse. Charles de Pisseleu, ihr zweiter Bruder, erhielt die Abtei von Bourgueil und das Bistum Condom …
Er blickte auf:
»Condom … Sie müssen zugeben, das klingt spaßig.«
Und Camille beeilte sich, dieses Lächeln festzuhalten, die belustigte Verzückung eines Jungen, der die Geschichte Frankreichs zerpflückte wie andere ein drittklassiges Pornoheft.
Oder aber:
… da die Gefängnisse nicht mehr ausreichten, machte Carrier, allmächtiger Autokrat, von Kollaborateuren umgeben, die ihm in nichts nachstanden, neue Kerker auf und beschlagnahmte Schiffe im Hafen. Alsbald schon wirkte sich der Typhus verheerend auf die vielen tausend Gefangenen aus, die unter erbärmlichen Bedingungen hausten. Da die Guillotine nicht schnell genug war, ordnete der Prokonsul an, Tausende von ihnen zu erschießen, und stellte den
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