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Zusammen ist man weniger allein

Zusammen ist man weniger allein

Titel: Zusammen ist man weniger allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Gavalda
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weiterentwickelt!«
    »Verändert, zweifellos … weiterentwickelt? Da … da bin ich mir nicht so sicher.«
    »…«
    »Sind Sie schockiert?«
    »Nein, nein, ich respektiere Ihre … Ihre …«
    »Meine Werte?«
    »Ja, wenn Sie so wollen, wenn Ihnen dieses Wort genehm ist, aber wovon leben Sie dann?«
    »Ich verkaufe Postkarten!«
    »Das ist doch verrückt. Total bescheuert.«
    »Wissen Sie, im Vergleich zu meinen Eltern habe ich mich sehr … weiterentwickelt, wie Sie es nennen, ich habe mich immerhin von manchem distanziert.«
    »Und wie sind Ihre Eltern?«
    »Nun.«
    »Ausgestopft? Einbalsamiert? Fest verschraubt in einem Glas mit Formalin und Lilienblüten?«
    »Ein wenig trifft das zu, in der Tat«, sagte er belustigt.
    »Sie bewegen sich doch aber nicht in einer Sänfte!«
    »Nein, aber das liegt daran, daß sie keine Träger mehr finden!«
    »Was machen sie?«
    »Pardon?«
    »Beruflich?«
    »Sie sind Grundbesitzer.«
    »Ist das alles?«
    »Das ist viel Arbeit, wissen Sie?«
    »Aber hm … Sind Sie sehr reich?«
    »Nein. Ganz und gar nicht. Im Gegenteil.«
    »Unglaublich, diese Geschichte. Und wie haben Sie das Internat überstanden?«
    »Dank Gaffiot.«
    »Wer ist das?«
    »Das ist niemand, das ist ein sehr voluminöses Lateinwörterbuch, das in meinem Schulranzen steckte, der mir als Schleuder diente. Ich habe meine Tasche am Riemen gepackt, damit Schwung geholt und … Tätätätä! Den Feind zur Strecke gebracht.«
    »Und weiter?«
    »Wie weiter?«
    »Heute?«
    »Na ja, meine Liebe, heute ist es ganz einfach, Sie sehen vor sich ein herausragendes Exemplar des homo degeneraris , das heißt ein Wesen, welches für das Leben in einer Gesellschaft völlig ungeeignet ist, deplaziert, skurril und vollkommen anachronistisch!«
    Er lachte.
    »Wie soll es weitergehen?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Sind Sie in Therapie?«
    »Nein, aber ich habe bei der Arbeit eine junge Frau kennengelernt, eine ulkige, spinnerte Verrückte, die mir ständig in den Ohren liegt, daß ich sie einmal zu ihrem Schauspielunterricht begleiten soll. Sie hat alle möglichen und denkbaren Therapeuten abgeklappert und behauptet, das Theater sei immer noch die beste Therapie.«
    »Tatsächlich?«
    »Sagt sie.«
    »Aber sonst gehen Sie nie aus? Sie haben keine Freunde? Keine Vertrauten? Keine … Kontakte zum einundzwanzigsten Jahrhundert?«
    »Nein. Nicht wirklich. Und Sie?«
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    5
     
     
     
    Das Leben nahm also wieder seinen Lauf. Camille trotzte der Kälte bei Einbruch der Dunkelheit, nahm die Metro in entgegengesetzter Richtung zur arbeitenden Masse und betrachtete die erschöpften Gesichter.
    Die Mamas, die mit offenem Mund vor dem beschlagenen Fenster schliefen, bevor sie ihre Kleinen in den eintönigen Vororten der 7. Zone der Pariser Verkehrsbetriebe abholten, die Frauen, mit billigem Modeschmuck behangen, die gleichgültig in ihrer Fernsehzeitschrift blätterten und ihre zu spitzen Zeigefinger mit Spucke befeuchteten, die Männer in weichen Mokassins und bunt gemusterten Socken, die laut seufzend zweifelhafte Geschäftsberichte studierten, und die Nachwuchskräfte der Führungsetage mit fettiger Haut, die sich die Zeit damit vertrieben, mit ihren auf Ratenzahlung gekauften Handys Unsummen auf den Kopf zu hauen.
    Und all die anderen, die nichts Besseres zu tun hatten, als sich instinktiv an die Eisenstangen zu klammern, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Diejenigen, die nichts und niemanden sahen. Weder die weihnachtliche Reklame – goldene Tage, goldene Geschenke, Lachs umsonst und Gänseleber zu Großhandelspreisen – noch die Zeitung des Nachbarn, noch die Nervensäge mit ausgestreckter Hand und näselndem Gejammer, tausendmal heruntergeleiert, noch die junge Frau gegenüber, die ihre trübsinnigen Blicke und die Knitterfalten ihrer grauen Überzieher auf Papier bannte.
     
    Anschließend wechselte sie zwei, drei belanglose Worte mit dem Wachmann des Bürokomplexes, zog sich um, hielt sich dabei an ihrem Wägelchen fest, streifte eine unförmige Trainingshose über, einen türkisfarbenen Nylonkittel, Profis für Sie im Einsatz , und wärmte sich langsam auf, indem sie wie besessen schuftete, bevor sie erneut fröstelte, zum x-ten Mal eine Zigarette rauchte und die letzte Metro nahm.
     
    Als sie Camille sah, stopfte Super Josy die Fäuste noch tiefer in die Taschen und warf ihr ein verkniffenes

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