Zusammen ist man weniger allein
tausend andere Arten, sich auf die Schnauze zu legen und dabei die Hose zu verlieren.
Sie dachte an Philibert. Was er wohl gerade machte?
Bald verschwand die Sonne, und die Kälte lastete mit einem Mal auf ihren Schultern. Sie bestellte in einem der vornehmen Lokale am Platz ein Club-Sandwich und malte auf ihre Papierserviette die blasierten Gesichter der Schnösel dieses Viertels, die die Schecks ihrer Mamis unterschrieben und dabei die Taille eines bezaubernden Mädchens umfingen, das aufgebrezelt war wie eine Barbiepuppe.
Sie las noch fünf Millimeter von Brady Udall und ging leicht fröstelnd zurück über die Seine.
Sie verging vor Einsamkeit.
Ich vergehe vor Einsamkeit, wiederholte sie leise, ich vergehe vor Einsamkeit.
Sollte sie ins Kino gehen? Pff … Und mit wem sollte sie hinterher über den Film sprechen? Wofür sind Emotionen gut, wenn man allein ist? Sie stemmte sich mit letzter Kraft gegen das Tor und war ziemlich enttäuscht, die Wohnung leer vorzufinden.
Sie betätigte sich ein wenig im Haushalt, um auf andere Gedanken zu kommen, und nahm ihr Buch wieder zur Hand. Es gibt keinen Kummer, über den ein Buch nicht hinwegtrösten könnte, sagte der große Dichter. Wir werden sehen.
Als sie den Schlüssel in der Tür hörte, tat sie ganz unbeteiligt, kringelte sich auf dem Kanapee zusammen und schlug die Beine unter.
Er kam mit einem Mädchen. Einem anderen. Weniger grell.
Sie gingen schnell über den Flur und zogen sich in sein Zimmer zurück.
Camille legte erneut Musik auf, um ihre Liebesspiele zu übertönen.
Hmm.
Sie war mies drauf. So nannte man das doch, oder? Mies drauf.
Schließlich nahm sie ihr Buch und verzog sich in die Küche, ans andere Ende der Wohnung.
Wenig später bekam sie ihre Unterhaltung in der Diele mit.
»Du kommst also nicht mit?« fragte sie verwundert.
»Nee, ich bin todmüde, ich hab keine Lust auszugehen.«
»Hör auf, das ist doch zum Kotzen. Deinetwegen hab ich meine ganze Familie versetzt. Du hattest mir versprochen, daß wir essen gehen.«
»Ich sag doch, ich bin todmüde.«
»Wenigstens was trinken.«
»Hast du Durst? Willst du ein Bier?«
»Nicht hier.«
»He … heute ist eh alles zu. Und außerdem arbeite ich morgen!«
»Ich faß es nicht. Dann kann ich ja wohl gehen, oder?«
»Komm schon«, fügte er sanfter hinzu, »du willst mir doch jetzt keine Szene machen. Komm morgen bei mir im Laden vorbei.«
»Wann?«
»Gegen Mitternacht.«
»Gegen Mitternacht. Du spinnst wohl. Und tschüß!«
»Bist du eingeschnappt?«
»Tschüß.«
Er hatte nicht damit gerechnet, sie in der Küche zu finden, eingewickelt in ihre Daunendecke.
»Du bist hier?«
Sie sah auf, ohne zu antworten.
»Warum siehst du mich so an?«
»Pardon?«
»Wie ein Stück Dreck.«
»Überhaupt nicht!«
»Doch, doch, das seh ich doch«, erregte er sich. »Gibt’s ein Problem? Stört dich was?«
»Schon gut, ja? Laß mich in Ruhe. Ich hab überhaupt nichts gesagt. Dein Leben ist mir total egal. Mach, was du willst! Ich bin nicht deine Mutter!«
»Gut. Das ist auch besser so.«
»Was gibt’s zu futtern?« fragte er und inspizierte das Innere des Kühlschranks, »nichts natürlich. Hier is nie was drin. Wovon lebt ihr bloß, Philibert und du? Von euren Büchern? Von Fliegen, die ihr euch gefangen habt?«
Camille seufzte und sammelte die Zipfel ihrer Decke zusammen.
»Verziehst du dich? Hast du schon gegessen?«
»Ja.«
»Ah ja, richtig, man könnte meinen, du hast ein bißchen zugelegt.«
»He«, sie drehte sich um und blaffte zurück, »ich misch mich nicht in dein Leben ein und du dich nicht in meins, okay? Außerdem, wolltest du nicht nach den Feiertagen bei einem Kumpel unterschlüpfen? Wenn das so ist, müssen wir nur noch eine Woche durchhalten. Das sollten wir doch schaffen, oder? Hör zu, am einfachsten ist, du sprichst gar nicht mehr mit mir.«
Etwas später klopfte er an ihre Zimmertür.
»Ja?«
Er warf ein Päckchen auf ihr Bett.
»Was ist das?«
Er war schon wieder gegangen.
Es war ein weiches, viereckiges Päckchen. Das Papier war scheußlich, völlig zerknittert, als wäre es schon mehrmals benutzt worden, und es verströmte einen seltsamen Geruch. Einen miefigen Geruch. Nach Kantinenessen.
Camille packte es vorsichtig aus und glaubte zunächst, es sei ein Putzlappen. Dubioses Geschenk des Schönlings von nebenan. Nicht doch, es war ein Schal, sehr lang, sehr weitmaschig und eher schlecht gestrickt:
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