Zusammen ist man weniger allein
Champ-de-Mars.
Camille war überrascht über das emsige, konzentrierte Treiben, das bereits in der Küche herrschte.
Es war plötzlich so heiß.
»Hier Chef. Ein kleiner Gehilfe, taufrisch.«
Der Chef brummte etwas und scheuchte sie mit dem Handrücken weg. Franck stellte sie einem großen Kerl vor, der noch nicht richtig wach war:
»Also, das hier ist Sébastien. Der ist für die kalte Küche zuständig und heute auch dein Chef de partie und dein big boss, okay?«
»Erfreut.«
»Mmmm.«
»Mit ihm hast du aber gar nichts zu tun, sondern mit seinem Gehilfen.«
Er wandte sich an den Kerl:
»Wie heißt er noch?«
»Marc.«
»Ist er da?«
»In den Kühlräumen.«
»Gut, ich überlaß sie dir.«
»Was kann sie?«
»Nix. Aber du wirst sehen, das macht sie gut.«
Und er verschwand Richtung Spind.
»Hat er dir die Maronen erklärt?«
»Ja.«
»Okay, hier sind sie«, fügte er hinzu und zeigte auf einen riesigen Berg.
»Kann ich mich setzen?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»In der Küche wird nicht gefragt, hier heißt es ›ja, Chef‹ oder ›ja, Meister‹.«
»Ja, Chef.«
Ja, Blödmann. Warum hatte sie sich nur darauf eingelassen? Sie wäre viel schneller, wenn sie sitzen dürfte.
Zum Glück machte eine Kaffeekanne die Runde. Sie stellte ihren Becher ins Regal und machte sich an die Arbeit.
Eine Viertelstunde später – ihr taten schon die Hände weh – sprach sie jemand an:
»Alles in Ordnung?«
Sie sah auf und war sprachlos.
Sie erkannte ihn nicht wieder. Blitzsaubere Hose, tadellos gebügelte Jacke, mit zwei Reihen runder Knöpfe und seinem Namen in aufgestickten blauen Lettern, kleines spitz zulaufendes Tuch, makellos weiße Schürze und Geschirrtuch, eine Kochmütze auf dem Kopf, die wie angegossen saß. Nachdem sie ihn bisher ausschließlich in ausgebeulten Klamotten gesehen hatte, fand sie jetzt, daß er sehr gut aussah.
»Was ist?«
»Nichts. Du siehst sehr gut aus.«
Und er, der große Dummkopf, der Angsthase, der Angeber, der kleine Provinzmatador mit der großen Klappe, der dicken Maschine und den tausend Weibern auf seiner Trophäenliste, ja, genau der konnte nicht umhin zu erröten.
»Das macht bestimmt die Uniform«, fügte sie lächelnd hinzu, um ihn aus seiner Verlegenheit zu erlösen.
»Ja, das … das ist es bestimmt.«
Er zog davon, rannte beinahe einen Kollegen über den Haufen und beschimpfte ihn im Vorbeigehen.
Es wurde nicht geredet. Man hörte nur das Tock-Tock der Messer, das Klapp-Klapp des Eßgeschirrs, das Bumm-Bumm der klappernden Türen und das Telefon, das alle fünf Minuten im Büro des Chefs klingelte.
Camille war fasziniert, einerseits darauf bedacht, sich zu konzentrieren, um sich keinen Anschiß einzufangen, und andererseits den Kopf zu heben, um nichts zu verpassen. Franck sah sie nur von weitem und von hinten. Er wirkte größer und ruhiger als sonst. Ihr war, als würde sie ihn nicht kennen.
Leise fragte sie ihren Kollegen beim Gemüseschälen:
»Wofür ist der Franck zuständig?«
»Wer?«
»Lestafier.«
»Er ist der Soßenkoch und überwacht das Fleisch.«
»Ist das schwer?«
Der Picklige rollte mit den Augen:
»Und wie. Das ist das Schwerste. Nach dem Chef und dem Zweiten ist er die Nummer drei der Brigade.«
»Ist er gut?«
»Ja. Blöd, aber gut. Ich würd sogar sagen, er ist genial. Außerdem wirst du sehen, der Chef fragt lieber ihn als den Zweiten. Den Zweiten überwacht er, Lestafier läßt er machen.«
»Aber …«
»Psst.«
Als der Chef in die Hände klatschte, um die Pause anzukündigen, hob sie mit verzerrtem Gesicht den Kopf. Sie hatte Schmerzen im Nacken, im Rücken, an den Händen, in den Beinen, an den Füßen und anderswo auch noch, sie wußte nur nicht mehr, wo.
»Ißt du mit uns?« fragte Franck.
»Muß ich?«
»Nein.«
»Dann mach ich lieber einen Spaziergang an der frischen Luft.«
»Wie du willst. Alles in Ordnung?«
»Ja. Ganz schön heiß. Ihr schuftet ja wahnsinnig.«
»Machst du Witze? Das hier ist nix! Es sind ja nicht mal Gäste da!«
»Ah ja.«
»Kommst du in einer Stunde wieder?«
»Okay.«
»Geh nicht gleich raus, laß dich erst etwas abkühlen, sonst holst du dir den Tod.«
»Gut.«
»Willst du, daß ich mitkomme?«
»Nein, nein. Ich möchte ganz gern allein sein.«
»Du mußt aber was essen, ja?«
»Ja, Papa.«
Er zuckte mit den Schultern: »Tzzz.«
Sie holte sich an einer Touri-Bude ein unappetitliches Panini und setzte sich unterm Eiffelturm auf
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