Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Titel: Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sennett Richard
Vom Netzwerk:
nachzuahmen. Die empathische Reaktion ist kühler: »Sie spielen diese Note mit Aufstrich, ich mit Abstrich …« Der Unterschied mag in der Schwebe bleiben, doch das, was Sie tun, hat eine gewisse Anerkennung gefunden. Bei einem Interview kann der Zuhörer seiner Empathie Ausdruck verleihen, indem er Augenkontakt hält, während er schweigend zuhört, und damit gleichsam sagt: »Ich höre Ihnen aufmerksam zu«, statt: »Ich weiß, was Sie empfinden.« * Neugier hat in der Empathie größere Bedeutung als in der Sympathie.
    Sowohl Sympathie als auch Empathie bringen Anerkennung zum Ausdruck, und beide schaffen eine Verbindung, doch im einen Fall ist diese Verbindung eine Umarmung, im anderen eine Begegnung. Sympathie überwindet Unterschiede durch eine in der Vorstellung vollzogene Identifikation. Empathie geht auf den anderen nach dessen eigenen Bedingungen ein. Sympathie gilt gemeinhin als das stärkere Gefühl, denn »Ich fühle Ihren Schmerz« legt die Betonung auf die Gefühle und aktiviert damit das eigene Ich. Empathie ist dagegen die anspruchsvollere Übung, zumindest beim Zuhören. Der Zuhörer muss aus sich selbst herausgehen.
    Beide Formen der Anerkennung sind zu verschiedenen Zeiten und in unterschiedlicher Weise notwendig für die Kooperation. Wenn Bergleute in einem Bergwerk verschüttet werden, aktiviert »Ich fühle Ihren Schmerz« unseren Wunsch, sie zu retten. Hier spielt es keine Rolle, dass wir womöglich noch nie unter Tage waren. Wir überspringen diesen Unterschied. Es gibt jedoch Situationen, in denen wir anderen Menschen gerade dann helfen, wenn wir uns nicht vorstellen, wie sie zu sein, etwa wenn wir einen trauernden Menschen sprechen lassen und nicht vorgeben, wir wüssten, was er durchmacht. Empathie ist vor allem in der Politik wichtig. Ein Abgeordneter oder ein Gewerkschaftsführer könnte durch Empathie – gewiss eine ferne Möglichkeit – von seinen Wählern lernen, statt nur in ihrem Namen zu sprechen. Realistischer ist da schon die Möglichkeit, dass ein Sozialarbeiter, Priester oder Lehrer durch einfühlendes Zuhören hilfreich für ethnisch unterschiedlich zusammengesetzte Gemeinschaften sein kann.
    In philosophischer Hinsicht kann Sympathie als emotionaler Lohn für das aus These, Antithese und Synthese bestehende Spiel der Dialektik verstanden werden: »Endlich verstehen wir einander«, und das ist ein gutes Gefühl. Empathie ist dagegen eher mit dem dialogischen Austausch verbunden. Obwohl Neugier den Austausch in Gang hält, erleben wir nicht dieselbe Befriedigung eines runden Abschlusses. Dafür birgt Empathie ihren eigenen emotionalen Lohn.

    * Deshalb arbeite ich in der Ausbildung von Ethnologen ebenso viel mit dem Einsatz von Gesten und Blicken wie mit ethnologischen Fragebögen.

Auf indirektem Weg

    » Fuck you, fuck you « ist mehr als nur ein Ausbruch ungehemmter Aggression – es paralysiert. Die Reaktion auf diesen Ausbruch lautet aller Wahrscheinlichkeit nach: »Mach’s doch selbst.« Damit stecken die Gegner fest. Als ich zum ersten Mal in Großbritannien lebte, dachte ich, die Fragestunde des Premierministers im Parlament sei ein Beispiel dieser Art, ein verbaler Wettkampf, bei dem der Premierminister und der Oppositionsführer keinen Zoll nachgeben und den Anschein erwecken, sie wollten mit Fäusten aufeinander losgehen. Natürlich tun sie das nicht. Heute wird dieser scheinbar tödliche Kampf wie die Wrestlingkämpfe in Amerika für das Fernsehen inszeniert. Doch im realen Leben überschreitet scharfe verbale Aggression oft die Grenze.
    In jüngeren Jahren hatte ich allerdings Erfahrungen mit Briten gemacht, die mir einen Weg aus dieser Gefahr aufzuzeigen schienen. Als junger Musikstudent, der gerade dem ganz auf Konkurrenz ausgerichteten Druckkessel der Juilliard School in New York entronnen war, staunte ich, als ich erstmals zusammen mit jungen Musikern in London probte. In den Diskussionen wimmelte es von Ausdrücken wie »möglicherweise«, »vielleicht« und »ich könnte mir vorstellen«. Auch bei anderen Gesprächen, ob nun im Pub oder im Wohnzimmer eines großen Musikförderers, erwiesen die Briten sich als Meister in der Verwendung des Konjunktivs.
    Ist das nur Höflichkeit? Auch, aber nicht nur. Die Probenarbeit verlief effizienter, weil der Konjunktiv einen Raum für Experimente eröffnete und andere einlud, sich daran zu beteiligen. Es trifft sicher zu, dass Schüchternheit wie Verlegenheit eine verkappte Form von Narzissmus sein kann, weil der

Weitere Kostenlose Bücher