Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält
und kam mit wenigen formellen Versammlungen aus. Als sie dann weltweit immer größer wurde, trafen die verschiedenen Abteilungen sich häufiger, um Grabenkämpfe abzustellen und die koloniale Beute zu verteilen. Je mächtiger die Ostindiengesellschaft wurde, desto häufiger kam es auch zu Überschneidungen mit staatlichen Aktivitäten, so dass auch hier mehr Treffen erforderlich wurden. Die Bürokratie stemmte sich gegen die Forderung nach offener Kommunikation. Vor dem offenen Treffen suchte sie Schutz im schriftlichen Bericht, der als offizielles Dokument bürokratische Weihen erhielt und die offene Diskussion ausschloss. Das offizielle Dokument ist das formalbürokratische Gegenstück zu dem im fünften Kapitel angesprochenen Silo. Der Konflikt zwischen dem offiziellen Dokument und dem Bedürfnis nach freier Diskussion zeigte sich in der frühen Neuzeit sowohl in der Diplomatie als auch im Geschäftsleben – in der Diplomatie als Gegensatz zwischen den informellen Kanälen und den in der Sprache des Gastlands geführten Unterredungen auf der einen, den Formalitäten der Verhandlungsführung in den offiziellen Dokumenten auf der anderen Seite. Als Friedrich der Große im 18. Jahrhundert die preußische Staatsverwaltung reformierte, war er zwischen diesen beiden Kräften hin- und hergerissen. Er wollte, dass die Tätigkeit der Behörden formal in Dokumenten festgehalten wurde, wusste aber auch, dass die verschiedenen Behörden nur schlecht funktionierten, wenn sie sich bei ihrer Koordinierungstätigkeit allein auf schriftliche Berichte verließen.
Ein dritter Aspekt der Geschichte des offenen Treffens war umfangreicher und weniger trocken und gehörte zu den Folgen der abnehmenden Bedeutung ererbter Positionen. In den mittelalterlichen Armeen konnten die Söhne von Regimentskommandeuren damit rechnen, das Regiment ihres Vaters zu erben (in Großbritannien hielt sich diese Praxis bis ins 19. Jahrhundert hinein). Dasselbe galt für die Söhne von Staatsbeamten. Die Geburt sorgte für ausreichend Autorität, und die Vorstellung, dass man sich Autorität verdienen musste, war erst schwach ausgebildet. In der frühen Neuzeit wurde das erbliche Amt dann zunehmend in Frage gestellt. Nun kam der schockierende Gedanke auf, dass Amtsinhaber sich ihre Stellung durch eine gute Amtsführung verdienen sollten. Nicht Geburt oder Seniorität sollten den Ausschlag geben, sondern Kompetenz.
Eine Möglichkeit, Talente zu entdecken, bot das Verhalten in Sitzungen oder Versammlungen. Aus den Tagebüchern Samuel Pepys’ (1633–1703), eines »neuen Menschen«, der dank seiner eigenen Fähigkeit in der britischen Admiralität aufstieg, geht hervor, dass er ein Meister der Sitzungskunst war, der die formalen Diktate seiner Vorgesetzten in Frage stellte, ohne Letztere gegen sich aufzubringen, der widerstreitende Abteilungen dazu brachte, sich zusammenzusetzen und miteinander zu reden, und der die vom Schatzamt an die Admiralität weitergeleiteten Zahlen hinterfragte und diskutierte. Diese Diskursfähigkeiten boten ein anderes Forum für den höflichen Umgang als der Salon. Hier ging es nicht um Vergnügen. Auch war Pepys kein Anhänger des Gedankens, dass man einander auf halbem Wege entgegenkommen solle. Auf Sitzungen vertrat er entschieden seine Auffassungen, aber ohne die übrigen Teilnehmer in die Ecke zu drängen. Diese Fähigkeiten setzten damals wie heute ein wichtiges Zeichen.
Wir glauben gerne, Menschen, die Kompromisse herbeiführen können, seien geschickt in der Leitung von Sitzungen, und gerade die formalen Elemente vermöchten ihnen dabei zu helfen. Aber das trifft nicht zu. Anhänger von Kompromissen meinen, Überzeugungen und Interessen seien nur Verhandlungsmasse, womit sie voraussetzen, dass es den Menschen, die solche Überzeugungen und Interessen vertreten, nicht ganz ernst damit sei. Aber seltsamerweise glauben viele Menschen, was sie sagen. Wenn diese Überzeugungen im Namen des Kompromisses übergangen werden, haben viele das Gefühl, verraten worden zu sein oder – schlimmer noch – sich selbst verraten zu haben. Entschiedene Anhänger von Kompromissen versuchen außerdem, Konflikte zu zerstreuen, weil sie befürchten, diese Konflikte könnten außer Kontrolle geraten. Statt sich wie die koreanischen Lebensmittelhändler zu verhalten, die gewaltsame Konflikte durch Schweigen zu verhindern versuchen, wünschen Anhänger des Kompromisses sich eine klare Lösung. Zu diesem Zweck geben sie vielfach eigene
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