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Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Titel: Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sennett Richard
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Positionen preis, noch bevor überhaupt ein Konflikt ausgebrochen ist, und hoffen den anderen dadurch zu zeigen, wie »vernünftig« sie sind.
    Die eigentliche Tugend formaler Sitzungen liegt darin, dass sie die Möglichkeit bieten, diesem Laster der Beschwichtigung aus dem Weg zu gehen. Wenn ein schriftliches Protokoll angefertigt wird, können die Teilnehmer ihre Ansichten so klar wie möglich formulieren, und sie wissen, dass ihre Erklärungen festgehalten werden. Das Protokoll sorgt für offizielle Transparenz, und auch wenn das Treffen am Ende zu einem Kompromiss führt, können die Teilnehmer dennoch das Gefühl haben, sich nicht persönlich kompromittiert zu haben. Das Protokoll weist aus, dass sie vorgebracht haben, was sie wirklich für richtig hielten. ****** Formalität ermöglicht Inklusion, wenn alle Teilnehmer sich an denselben Kodex halten und abwechselnd reden oder den anderen das Feld überlassen.
    Formalität an sich ist allerdings noch keine Lösung für das Problem der Transparenz. Das hängt unter anderem mit dem Verhalten des Vorsitzenden zusammen. In einer Studie über das Verhalten von Leuten, die Versammlungen oder Sitzungen leiten, hat der holländische Soziologe P. H. Ritter vor einiger Zeit die These aufgestellt: »In jeder Sitzung besteht die Tendenz, dass die Teilnehmer sich in ihrem Verhalten dem Vorsitzenden anpassen. Der Vorsitzende ist Vorbild für die gesamte Runde.« 16 Die Teilnehmer sind auf die Billigung des Vorsitzenden fixiert, zum Beispiel auf sein zustimmendes Kopfnicken, und versuchen seine Aufmerksamkeit zu erregen oder die Anerkennung zu erlangen, die er wertvollen oder treffenden Beiträgen zollt.
    Außerdem verhindert eine formal festgelegte Tagesordnung, dass Probleme sich spontan entfalten. In einer Werkstatt erfolgt die gemeinschaftliche Arbeit auf der Basis der vorhandenen Materialien und Werkzeuge. Es gibt ein übergeordnetes Ziel, aber dieses Ziel kann man auf unterschiedlichen Wegen erreichen, nach alternativen Drehbüchern, von denen sich erst noch herausstellen muss, welches das beste ist. Werkstattarbeit dieser Art ist narrativ. Eine formal festgelegte Tagesordnung ist nicht narrativ. Selbst Beiträge, die klare Kommentare darstellen und eindeutig Position beziehen, können formale Sitzungen lähmen. Ein absonderlicher Gedanke, schlecht formuliert, aber durchaus wert, dass man ihn weiterverfolgt, mag vielleicht Eindruck auf jemanden machen, doch solch ein Geistesblitz hat weniger Gewicht als ein sorgfältig durchdachter Beitrag. Der formale Charakter von Sitzungen begünstigt Autorität und versucht Überraschungen zu vermeiden.
    Die offene Sitzung strebt dagegen im Grundsatz nach mehr Gleichheit und Überraschung. Die Frage ist, wie die offene Sitzung eine Alternative zum unwürdigen Kompromiss hervorbringen könnte. Hier hängt alles davon ab, wie die Beteiligten mit der Grenze zwischen formalem und informellem Charakter umgehen. Es ist ein Grenzbereich, in dem einige der Fähigkeiten zu indirekter Kooperation auf eine schwere Probe gestellt werden.

    ****** Tony Blair praktizierte während seiner Zeit als Premierminister eine »Sofapolitik«, das heißt, er besprach die Dinge mit seinen Ministern ganz informell, so dass in den Akten keine Spuren davon blieben. Als er sein Amt aufgab, behaupteten viele seiner Minister, sie hätten seine Politik nicht wirklich für richtig gehalten. Aber wie soll man das beurteilen, da es doch keine Protokolle gibt?

Der Grenzbereich

    Berufsdiplomaten besitzen eine Bibel für den Umgang mit diesem Grenzbereich: Sir Ernest Satows Satow’s Diplomatic Practice , ein Handbuch, das erstmals 1917 erschien und inzwischen in der sechsten Auflage vorliegt. Übersetzte und abgewandelte Fassungen dieses Werkes sind weltweit in Gebrauch. 17 Satow verstand sich als jemand, der lediglich Praktiken aufschrieb, die sich seit jenen Zeiten herauskristallisiert hatten, als Wotton ständiger Gesandter in Venedig war. Genial an seinem Werk ist die Klarheit, mit der es aufzeigt, wie man informelle, indirekte, auf Gegenseitigkeit ausgerichtete Verhaltensweisen selbst noch in die steifste Sitzung einzubringen vermag. Vier seiner Ratschläge sind besonders nützlich.
    Der erste Rat erläutert, wie man vorgehen kann, wenn zwei Konfliktparteien eine mögliche Lösung ausprobieren wollen, ohne sich offiziell darauf festzulegen. Satows Rat für diesen Fall lautet, man solle kommentarlos ein bout de papier über den Konferenztisch schieben. Auf dieses

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