Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält
»Ein-Tages-Universität«. Dabei ging es ebenso um Arbeitsrecht wie um eine Veränderung der Einstellungen.
Die Latinos – meist Mexikaner – waren wie die Bostoner Arbeiter einer früheren Generation langfristig angestellt. Da viele dieser Mexikaner illegale Einwanderer waren, konnten die Ladenbesitzer ihr Wohlverhalten durch Entlassungsdrohungen erzwingen, aber Koreaner und Latinos entwickelten mit der Zeit enge persönliche Beziehungen. Wie der Ethnograph Pyong Gap Min herausfand, entdeckten – und bewunderten – die Koreaner bei den Latinos eine Arbeitsethik, die ihrer eigenen recht ähnlich war. Auch Vorurteile kamen ins Spiel. Während die Koreaner ihre afroamerikanischen Kunden für Kriminelle hielten, entwickelten die Ladenbesitzer ein paternalistisches Verhältnis zu ihren Latino-Angestellten und meinten, bei straffer Führung auf deren Gehorsam zählen zu können. Eine Lebensmittelhändlerin sagte Pyong Gap Min: »Sie alle arbeiten hart und machen keine Schwierigkeiten. Für mich sind sie fast wie meine eigenen Kinder. Es tut mir weh, wenn ich an ihre elende Lage denke.« 12
Die Latinos wünschten dagegen, als Erwachsene behandelt zu werden. Da die beiden ethnischen Gruppen Tag für Tag und Jahr für Jahr eng zusammenarbeiteten, kam es mit der Zeit tatsächlich zu einer entsprechenden Veränderung, wenn auch nur langsam. Wie die Minister in Margaret Thatchers Kabinett wagten die Latinos, ihren Arbeitgebern zu widersprechen – bei einer Zigarettenpause in den hinteren Räumen des Ladens, aber gelegentlich sogar vor Kunden.
Von einer Heilung kann man allerdings nicht sprechen. Die Spannungen sind auch heute noch vorhanden, zwei Jahrzehnte nach ihrem Ausbruch. Die beiden Gruppen haben allerdings – ohne Mediatoren – gelernt, damit umzugehen, weil sie aufeinander angewiesen sind. Die Koreaner brauchen Leute, die bereit sind, ebenso hart und lange zu arbeiten wie sie selbst, und die Latinos brauchen Leute, die bereit sind, sie vor den Behörden zu schützen. Mit der Zeit haben beide Gruppen diese gegenseitige Abhängigkeit erkannt, aber sie haben auch – wie in einer Familie – Grenzen gezogen, die nicht überschritten werden dürfen. Die Mexikaner können nicht streiken und dann erwarten, dass die Ladenbesitzer sich nicht an die Behörden wenden. Die Koreaner können diese langfristig angestellten, hart arbeitenden Mitarbeiter nicht wie Kinder behandeln, die man mit kleinen Geldgeschenken abspeist.
Professionelle Mediatoren versuchen Bedingungen herzustellen, unter denen der Sturm zu produktiven Ergebnissen führt. Eine Mediation ohne Mediatoren kann zum selben Ergebnis führen, wenn auch nicht so methodisch und grundsätzlich. Die Ursachen der Spannung bleiben auch nach der Reparatur erhalten. In jedem Fall aber kommt es auf beiden Seiten zu einem Umbau des Gleichgewichts zwischen Reden und Schweigen.
Man könnte sagen, dieser Neuabgleich führe zu höflichen Umgangsformen eigener Art. Ludwig Wittgenstein formulierte einmal den Grundsatz, dass man über Dinge, die sich nicht in einer klaren, präzisen Sprache ausdrücken lassen, schweigen solle. Im höflichen sozialen Umgang miteinander schweigt man über Dinge, über die man zwar ein klares Wissen besitzt, über die man aber nicht sprechen sollte und auch nicht spricht. Das ist der Grundsatz, den Koreaner, Latinos und Afroamerikaner in ihrem wechselseitigen Umgang zu befolgen begannen.
Verfahren
So wichtig bloße Andeutungen und Schweigen auch sein mögen, kommt es bei der Kooperation letztlich doch eher auf aktive Beteiligung als auf passive Anwesenheit an. Dieser Auffassung folgte Tocqueville, als er die Bürger- und Vereinsversammlungen in den Städten Neuenglands idealisierte, auf denen jeder etwas zu sagen hatte. Diese rosige Aussicht wird allerdings oft zu einer Tortur, wenn zwanzig Leute endlos über eine Entscheidung diskutieren, für die ein Einzelner nur eine Minute benötigte. Zudem wissen geschickte Folterer genau, wann sie das Killerargument anzubringen oder den »eigentlichen Sinn der Versammlung« zusammenzufassen haben, einen Konsens, dem die anderen dann nur aus Erschöpfung zustimmen. In solchen Fällen mag jemand mit Denis Diderot ausrufen: »Der Gefühlsmensch folgt den natürlichen Impulsen und vermag nur den Schrei seines Herzens genau wiederzugeben – in dem Augenblick, da er diesen Aufschrei mildert oder verstärkt, ist er es nicht mehr selbst …« 13
Die Herausforderung bei der Partizipation liegt darin, dass sie
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