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Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Titel: Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sennett Richard
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um eine anspruchsvolle Form von Leichtigkeit. Meist macht man davon in Angelegenheiten Gebrauch, die allzu explosiv sind, als dass man sie dem Papier anvertrauen könnte. Satow bezeichnet diese Cocktail-Begegnungen zu Recht als verkappte Konferenzen.
    Die vierte Fertigkeit indirekter Diplomatie, die bei Sitzungen und anderen Begegnungen Bedeutung erlangt, ist die Freundlichkeit. Satow schließt sich der Warnung des Earl of Malmesbury an, der 1813 empfahl, sich vor Ausländern in Acht zu nehmen, die »darauf erpicht sind, Ihre Bekanntschaft zu machen und Ihnen ihre Vorstellungen mitzuteilen«. Freundlichkeit dieser scheinbar offenen Art sei gewöhnlich eine Falle. 21 Da man von niemandem erwartet, ohne Hinterlist zu agieren, schaffen die Rituale der Beiläufigkeit, wie etwa das Ritual der Hochachtung beim bout de papier , in der Diplomatie eine besondere soziale Zone. Beiläufigkeit kann als Zeichen von Vertrauen gewertet werden – Vertrauen darauf, dass der Gesprächspartner die beiläufig gestreuten Hinweise schon verstehen wird.
    Das ist keine Freundlichkeit von der Art, wie man sie bei Facebook antrifft, wo Jugendliche versuchen, alle Details ihres alltäglichen Lebens auszubreiten, so dass kaum Raum für die Phantasie des Betrachters bleibt. Der beiläufige Hinweis ist verkappt, und es bedarf gewisser Interpretationsfähigkeiten, sie richtig zu lesen. In den meisten Fällen handelt es sich bei solchen verkappten Hinweisen um durchaus unfreundliche Warnungen, die sich lediglich in die Rituale geselligen Vergnügens kleiden. Hier soll nicht beschwichtigt werden, vielmehr glaubt man, der indirekte Ausspruch einer Warnung, die den Adressaten aufschreckt, könne größere Wirkung entfalten. Wir kennen diese Praxis auch aus dem Alltagsleben, doch gewöhnlich analysieren wir beiläufige Bemerkungen nicht so methodisch wie Berufsdiplomaten.
    Die Gefahr eines gewalttätigen Konflikts stellt alle vier genannten diplomatischen Fähigkeiten auf eine harte Probe, und oft bestehen sie diese Probe nicht. Bei der Auseinandersetzung mit dem irakischen Regime Saddam Husseins im Jahr 1991 übergab man den Brief mit der amerikanischen Kriegserklärung dem irakischen Außenminister Tarik Asis, der den Brief ungeöffnet auf dem Tisch liegen lassen durfte, während man dessen Inhalt erörterte. Das seit langem bekannte Ritual des ungeöffneten Briefs soll den Parteien die Möglichkeit bieten, weiterhin miteinander zu sprechen und bis zum letzten Augenblick nach Lösungen zu suchen. So waren 1939 die ersten Absätze eines britischen Briefs, in dem auf die Gefahr eines Kriegs mit Deutschland hingewiesen wurde, voller Ausdrücke des Respekts vor den Beziehungen zwischen beiden Ländern. Wäre das Hitler-Regime wirklich an Frieden interessiert gewesen, hätte die diplomatische Antwort sich auf diese Nettigkeiten konzentrieren können.
    Fehlschläge dieser Art verstärken die verbreitete Ansicht, die diplomatischen Rituale entsprächen nicht den Realitäten der Macht. Der gerissene Diplomat steht heute gewiss nicht in hohem Ansehen. Aber vielleicht suchen wir an der falschen Stelle, um den wirklichen Wert solcher Praktiken zu beurteilen. Wie die koreanischen Lebensmittelhändler lernten, das Verhältnis zwischen Reden und Schweigen neu auszutarieren, so stellen Berufsdiplomaten, die solche Instrumente einsetzen, das Grenzverhältnis zwischen Klarheit und Mehrdeutigkeit neu ein. Dadurch ermöglichen sie den Einsatz von »weicher Macht«, wie der Politikwissenschaftler Joseph Nye dies genannt hat. 22 Eine Abschwächung der Spaltung zwischen informellem und formalem Austausch kann die Menschen in die Lage versetzen, einander produktiv zu begegnen und selbst dann in Verbindung zu bleiben, wenn sie einander feindselig gegenüberstehen. Sie kann eine Alternative zu einem Verhalten bieten, das dem anderen auf halbem Wege entgegenkommt.
    So sollten wir denn die diplomatischen Praktiken eher als kritischen Maßstab für unser alltägliches Verhalten nutzen. In alltäglichen Treffen und Sitzungen brauchen wir diplomatische Fähigkeiten, wenn eine komplizierte Frage sich nicht durch einfache Entscheidung lösen lässt. Statt die Frage fallenzulassen, müssen die Menschen die Verbindung aufrechterhalten. Dornige Probleme lösen sich selten von allein. Die vier diplomatischen Praktiken bieten Rituale für das Verhalten in alltäglichen Sitzungen, die genau das zu leisten vermögen. Wie im fünften Kapitel dargelegt, findet sich in der Herausbildung des

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