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Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Titel: Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sennett Richard
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2300 koreanische Geschäfte verwüstet. In New York wurden immer wieder Steine in die Schaufenster koreanischer Geschäfte geworfen, und seit 1984 kam es auch zu organisierten Boykotts. Die Koreaner reagierten darauf, indem sie einen Selbstschutz organisierten und Verhandlungen mit Vertretern der afroamerikanischen Gemeinschaft aufnahmen. Die Korean Association of New York und die Korean Merchants Association wandten sich an Gemeinwesenarbeiter aus der afroamerikanischen Gemeinde, die seit Ausschreitungen gegen das weiße Establishment in den 1960er Jahren über einige Erfahrung mit solchen Situationen verfügten. Und auch die New Yorker Stadtverwaltung konnte eine Reihe geschickter Vermittler bereitstellen.
    Wie bei allen professionellen Bemühungen um die Lösung von Konflikten standen auch hier am Anfang wechselseitige Vorwürfe, Erklärungen und Forderungen. Es dauerte lange, bis die Verhandlungen erste Ergebnisse zeitigten – erst nach fünf Jahren entwickelten sich aus der von Vorwürfen geprägten Konfrontation Verfahren zur Abwehr potenzieller Gewalt. Die Fortschritte bewegten sich in dem Bereich, den Theodore Kheel als »symbolische Decke« bezeichnet. Die in Einzelfragen erfolgreiche Kooperation zeigt, dass man etwas machen kann. Große, schwer zu lösende Probleme werden dagegen aufgeschoben, möglicherweise sogar auf Dauer. 10 Die förmlichen Verhandlungen konzentrierten sich zum Beispiel auf die Frage, welche staatliche Stelle die Kosten für die an der Außenseite von Geschäften angerichteten Schäden übernehmen sollte, und ging so der Frage aus dem Weg, wie man die einzelnen Schuldigen zur Verantwortung ziehen konnte.
    Es gab keine Versöhnungsarbeit in dem Sinne, dass Ladeninhaber und Kunden wechselseitig zu einem besseren Verständnis gelangt wären. Es gab also keine Annäherung. Im Jahr 1992 , als der förmliche Mediationsprozess endlich Fortschritte machte, ergab eine Umfrage bei koreanischen Kaufleuten, dass 61 Prozent von ihnen der Ansicht waren, Schwarze seien weniger intelligent als Weiße. Ein ähnlicher Prozentsatz war der Überzeugung, dass Schwarze weniger ehrlich seien, und 70 Prozent glaubten, Schwarze seien eher bereit, Verbrechen zu begehen, als Weiße. 11 Diese Ansichten waren eine Mischung aus purem Rassismus, tatsächlichen Erfahrungen mit Raubüberfällen und aus Gefühlen, in denen sich bei den Koreanern die geschichtliche Erfahrung ihrer Verwundbarkeit niederschlug. Die förmliche Mediation hatte den Konflikt nicht aus der Welt schaffen können. Dennoch fanden die Koreaner und ihre Kunden in gewisser Weise zu einer Lösung. Sie sorgten durch Schweigen für eine leichte Entspannung des Konflikts, durch ein stillschweigendes Übereinkommen, Zorn und Vorurteile in den Hintergrund zu rücken. Wie die Arbeitssuchenden lernten sie, emotionale Distanz zu wahren.
    Das ist freilich nur die halbe Geschichte. Die andere Hälfte liegt im Umgang der Koreaner mit ihren eigenen Angestellten. Angesichts der Expansion ihrer Läden mussten die Koreaner beim Personal verstärkt auf Nichtkoreaner zurückgreifen, und dazu stellten sie fast ausschließlich Latinos ein, eine ihnen gleichfalls fremde ethnische Gruppe, zu der sie allerdings andere Beziehungen unterhielten als zu ihren afroamerikanischen Kunden. Auch bei den Latinos fanden sich Ressentiments, vor allem wegen der niedrigen Löhne und der langen Arbeitszeiten. Diese Ressentiments führten schließlich zu Streiks, die in New York allerdings nur selten in Gewalt gegenüber den Ladeninhabern ausarteten. Koreaner und Latinos konnten bei der Lösung dieser Konflikte auf professionelle Mediatoren zurückgreifen, doch die beiden ethnischen Gruppen bedienten sich zweier Lösungswege. Der erste, außerhalb der Läden, nutzte die Dienste professioneller Mediatoren, der zweite, innerhalb der Läden, setzte auf Alltagsdiplomatie, auf eine Mediation ohne Mediatoren.
    Außerhalb der Läden versuchte die zuständige Gewerkschaft die koreanischen Lebensmittelhändler zu zwingen, die arbeitsrechtlichen und tarifvertraglichen Bestimmungen über Löhne und Arbeitszeiten einzuhalten, doch dieser Kampf nahm schließlich eine andere Wendung. Die Gewerkschafter begannen, in Zusammenarbeit mit dem Staat New York Seminare über Arbeitsrecht anzubieten und Zertifikate an koreanische Lebensmittelhändler zu vergeben, die diese Seminare besucht hatten. In Flushing, einem am Rande der Stadt gelegenen Viertel, »absolvierten« etwa 250 Lebensmittelhändler diese

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