Zwanghafte Gier
leid. Das ist eine Tragödie.«
»Ray ist völlig zusammengebrochen«, berichtete Jude. »Eine Zeit lang haben sie darüber geredet, ihm starke Beruhigungsmittel zu geben, doch er wollte nichts davon hören.«
»Gibt es irgendetwas, das ich tun kann?« Alex stieg aus dem Bett, ging ans offene Fenster und starrte in die dunkle Juninacht hinaus. »Wo bist du jetzt? Möchtest du, dass ich komme?«
»Ich bin in meiner Wohnung und warte auf Ray. Er hat darüber geredet, wieder nach London zurückzufahren, doch angesichts seines Zustands habe ich ihm gesagt, das sei keine gute Idee.«
»Eine tödliche Idee vielleicht sogar«, pflichtete Alex ihm bei. »Dann bleibt er also bei dir?«
»Für diese Nacht, ja. Vielleicht auch länger, ich bin nicht sicher. Er hat gesagt, ich solle vorfahren. Vermutlich will er noch eine Zeit lang bei Earl sitzen.«
»Der arme Mann.«
»Ja.« Jude hielt kurz inne. »Alex, es tut mir leid, dass ich dich im Stich gelassen habe.«
»Sei nicht dumm.«
»Und offen gestanden hätte ich nichts lieber, als dich hier bei mir zu haben, aber du weißt ja, wie klein die Wohnung ist, und ich habe das Gefühl, als könne Ray im Augenblick keine Gesellschaft ertragen, nicht einmal deine. Außerdem kannst du Suzy und David ja nicht allein lassen.«
»Das könnte ich schon«, entgegnete Alex, »aber unter diesen Umständen werde ich es nicht tun.«
Durch die Leitung hörte sie das Geräusch von Judes Türklingel.
»Er ist hier«, sagte er.
»Dann kümmere dich um ihn«, sagte Alex. »Sag ihm, wie leid es mir tut.«
»Ich hoffe, Suzy und David werden das verstehen«, sagte Jude.
»Natürlich werden sie das«, entgegnete Alex.
David schien es tatsächlich zu verstehen, als Alex es ihnen beim Frühstück erklärte; Suzy jedoch wirkte weniger überzeugt.
»Kann er den Kerl denn nicht eine Stunde allein lassen, um Hallo zu sagen?«
»Das würde ich nie von ihm verlangen«, erwiderte Alex. »Ray ist bestimmt nicht in dem Zustand, dass man ihn allein lassen könnte.«
»Da hast du sicher recht«, pflichtete David ihr bei.
»Er und Jude sind sich seit dem Unfall sehr nahe gekommen«, erklärte Alex.
»Wie kommt das, wenn Earl doch nur ein Arbeitskollege war?« Suzy runzelte die Stirn. »Jude gibt sich doch keine Schuld an dem, was passiert ist, oder?«
»Warum sollte er?«, fragte Alex überrascht.
Suzy zuckte mit den Schultern. »Ich hab nur laut gedacht.«
»Komm schon, Suzy«, sagte David ein wenig tadelnd.
»Falls du aus irgendeinem Grund nach düsteren Geheimnissen suchen solltest, die ich mir noch nicht mal vorstellen kann ...« Alex war aufgebracht. »Jude war auf halbem Weg die Leiter hinauf, als Earl vom Dach gefallen ist«, erklärte sie.
»Ich habe nicht angedeutet, dass er den Kerl gestoßen hat, Ally.«
»Das will ich auch nicht hoffen.« Alex hielt kurz inne. »Earl hatte noch keine Freunde in der Gegend gefunden.«
»Jaja«, sagte Suzy.
»Hast du vergessen, wie es für dich gewesen ist?«, fragte Alex in einem etwas versöhnlicheren Tonfall. »Hast du vergessen, wie viel Unterstützung du gebraucht hast?«
»Ja«, sagte Suzy. »Da hast du wohl recht.«
Als sie sich am Samstagmorgen vorbereiteten, nach Brighton zum Pier hinunterzugehen, um sich dort ein wenig zu amüsieren und shoppen zu gehen, schlug Suzy vor, die Gelegenheit zu nutzen und kurz bei Jude vorbeizuschauen.
»Nur auf einen Sprung. Das wäre eine nette Geste, wenn wir schon mal vor seiner Tür stehen.«
»Die Wohnung ist unter dem Dach«, sagte Alex. »Aber wenn er da ist, bin ich sicher, dass er runterkommen und Hallo sagen wird.«
»Aber vielleicht sollten wir ihn einfach nur in Ruhe lassen«, sagte David. »Sein Freund ist offensichtlich nicht in der Lage, Fremde zu empfangen.«
»Ich werde ihn anrufen, bevor wir gehen, und ihn fragen, wie es aussieht«, sagte Alex. »Aber ich werde ihn nicht drängen.«
»Vergiss den Vorschlag«, sagte Suzy.
Alex warf ihr einen verzweifelten Blick zu. »Was ist heute nur mit dir, Suzy?«
»Nichts.« Suzy sah, wie David sie anschaute. »Tut mir leid.«
Da sie keine Antwort auf ihren Anruf erhielt, ließ Alex die Maynards in »Food for Friends« sitzen und ging mit dem Strauß roter Lilien, die sie für Ray in Woodingdean gekauft hatte, in die Union Street. Sie klingelte, wartete ein paar Minuten und ließ die Blumen dann bei einem jungen Mann im Erdgeschoss.
Sie hatten den Pier »erledigt« – hatten Bälle auf Konservendosen geworfen; David hatte einen Teddybären
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