Zwanzig Jahre nachher (German Edition)
einfach wie alle Dinge, die aus einem kühnen Entschlusse hervorgehen. Athos verwundete sich somit seine so schönen weißen und zarten Hände mit dem Herausziehen der Steine, welche Porthos aus den Fugen sprengte, und schon konnte man mit dem Kopfe unter den Verzierungen hindurch, welche die Platte des Balkons schmückten. Noch zwei Stunden, und der ganze Körper konnte hindurch. Das Loch würde vor Anbruch des Tages fertig sein und hinter einem Vorhange, welchen d'Artagnan anbringen würde, verdeckt werden. D'Artagnan gab sich für einen französischen Handwerker aus und schlug die Nägel so regelmäßig ein, als wäre er der geschickteste Tapezierer. Aramis schnitt das Überflüssige vom Zeuge ab, das bis zur Erde herabhing und hinter dem sich das Blutgerüste erhob. Die Morgenstrahlen erschienen an den Giebeln der Häuser; ein großes Feuer von Torf und Holz diente den Arbeitern, jene so kalte Nacht vom 29. zum 30. Januar zuzubringen, und alle Augenblicke unterbrachen sich die Eifrigsten in der Arbeit, um sich wieder zu wärmen. Athos und Porthos allein waren nie von ihrer Arbeit gewichen, und so war denn auch das Loch bei dem ersten Grauen des Morgens fertig. Athos kroch hindurch mit den Kleidern, welche für den König bestimmt und in schwarzes Zeug gewickelt waren; Porthos reichte ihm sein Brecheisen und d'Artagnan nagelte zum großen, aber sehr nützlichen Luxus ein Stück Zeug im Innern vor, hinter dem das Loch und derjenige, der darin war, verdeckt wurden. Athos brauchte nur noch zwei Stunden zu arbeiten, um sich dem Könige mitteilen zu können, und nach der Berechnung hatten die vier Freunde den ganzen Tag vor sich, weil man, da der Scharfrichter von London fehlte, jenen von Bristol holen mußte. D'Artagnan entfernte sich, um seinen kastanienbraunen Anzug, und Porthos, um sein rotes Wams wieder anzulegen; Aramis aber ging zu Juxon, um mit ihm, wenn es anging, zum Könige zu gelangen. Alle drei verabredeten sich mittags auf dem Platze White-Hall zu sein, um zu sehen, was da vorgehe. Ehe sich Aramis vom Schafott entfernt hatte, näherte er sich der Öffnung, worin Athos versteckt war, um ihm zu melden, er wolle Karl wiederzusehen versuchen. »Lebt also wohl und guten Mut!« rief Athos; »meldet dem König, wie die Sachen stehen, und sagt ihm, er möchte, wenn er allein ist, auf den Fußboden klopfen, damit ich in meiner Arbeit sicherer fortfahren könne. Wenn mir Parry behilflich sein könnte, im voraus die untere Platte des Kamins loszumachen, die zweifelsohne eine Marmorplatte ist, so wäre um so mehr geschehen. Ihr, Aramis, seid darauf bedacht, den König nicht zu verlassen. Redet laut, sehr laut, da man Euch von der Türe aus behorchen wird. Wenn eine Schildwache in das Innere des Zimmers kommt, so stoßt sie nieder ohne alles Bedenken; sind deren zwei, so töte Parry die eine und Ihr die andere; sind deren drei, so laßt Euch töten, doch rettet den König.«
»Seid unbekümmert,« entgegnete Aramis, »ich will zwei Dolche mitnehmen und einen davon Parry geben. Ist das alles?«
»Ja, geht nun; allein empfehlet dem König wohl an, daß er keinen falschen Edelmut übe. Indes Ihr Euch schlaget, wenn es zum Kampfe kommt, so soll er entfliehen; ist einmal die Platte über seinem Kopfe wieder zugelegt, so wird man, ob Ihr nun tot oder lebendig auf dieser Platte seid, wenigstens zehn Minuten brauchen, um das Loch aufzufinden, durch das er entschlüpft ist. Mittlerweile werden wir ferne und der König gerettet sein.«
»Es soll geschehen, wie Ihr sagt, Athos. Gebt mir Eure Hand, denn vielleicht sehen wir uns niemals wieder.« Athos schlang seinen Arm um Aramis' Nacken und küßte ihn. »Das für Euch,« sprach er; »nun, wenn ich sterbe, so meldet d'Artagnan, daß ich ihn wie meinen Sohn liebe, und umarmt ihn an, meiner Statt. Umarmt auch unseren guten, wackeren Porthos. Lebt wohl!«
»Lebt wohl!« wiederholte Aramis. »Nun bin ich ebenso überzeugt, daß der König entkommen wird, wie ich überzeugt bin, daß ich die biederste Hand, die es auf der Welt gibt, halte und drücke.« Aramis verließ Athos, stieg dann gleichfalls von dem Schafott hinab, und indem er die Arie eines Liedes zum Lobe Cromwells pfiff, gelangte er zum Gasthause. Er traf seine zwei Freunde neben einem wohltätigen Feuer am Tische sitzend, wo sie eben eine Flasche Wein tranken und ein kaltes Huhn speisten. Porthos aß, indem er sich gegen jene Parlamentsmitglieder gewaltig ereiferte, d'Artagnan aß schweigend, brütete aber dabei über
Weitere Kostenlose Bücher