Zwanzig Jahre nachher (German Edition)
man stets sich nähern fühlte. Auf einmal aber erschallte in der Galerie ein unvermutetes Getöse. Aramis ergriff die Feuerzange und gab das Zeichen zur Unterbrechung. Dieser Lärm drang näher; es war der von einer gewissen Anzahl gleicher und regelmäßiger Schritte. Die vier Männer verhielten sich unbeweglich und hefteten ihre Augen auf die Türe, welche langsam und auf eine feierliche Weise geöffnet wurde. Die Wachen hatten sich im Vorgemache des Königs zu beiden Seiten aufgestellt. Ein Kommissar des Parlaments, in schwarzem Anzuge und mit ernster Miene, die von böser Vorbedeutung war, trat ein, verneigte sich vor dem Könige, entrollte ein Pergament und las ihm das Urteil vor, wie man es Verurteilten zu tun pflegt, die das Schafott besteigen. »Was hat das zu bedeuten?« fragte Aramis den Bischof. Juxon machte ein Zeichen, womit er sagen wollte, er wisse in jeder Hinsicht ebensowenig wie er. »Gilt es also für heute?« fragte der König mit einer Gemütsbewegung, die nur für Juxon und Aramis bemerkbar war. »Sire,« antwortete der schwarzgekleidete Mann, »hat man Euch denn nicht benachrichtigt, daß es diesen Morgen vollzogen würde?«
»Und,« sprach der König, »ich soll wie ein gemeiner Missetäter durch die Hand des Scharfrichters von London fallen?«
»Sire,« erwiderte der Kommissar des Parlaments, »der Scharfrichter von London ist verschwunden; doch hat sich an seiner Statt ein Mann angeboten. Die Vollziehung des Urteils wird somit nur um die Zeit verzögert werden, die Ihr verlangt, um Eure geistlichen und zeitlichen Angelegenheiten in Ordnung zu bringen.« Ein leichter Schweiß, der an Karls Haarwurzeln perlte, war die einzige Spur der Gemütsbewegung, die sich auf die Ankündigung dieser Nachricht ergab. Doch Aramis wurde leichenblaß. Sein Herz pochte nicht mehr, er schloß die Augen und stützte seine Hand auf einen Tisch. Als Karl diesen tiefen Schmerz bemerkte, schien er den eigenen zu vergessen. Er trat zu ihm, faßte ihn an der Hand und umarmte ihn, indem er mit einem freundlichen und traurigen Lächeln sagte: »Seid gefaßt, o Freund, Mut!« Doch wandte er sich zu dem Kommissar und sprach: »Mein Herr, ich bin bereit. Ihr seht, ich verlange nur zwei Dinge, welche Euch, wie ich glaube, nicht sehr verspäten werden. Das erste ist, das Abendmahl zu nehmen; das zweite, meine Kinder zu umarmen und ihnen mein letztes Lebewohl zu sagen. Wird mir das verstattet sein?«
»Ja, Sire,« antwortete der Kommissar des Parlaments. Sodann entfernte er sich. Als Aramis wieder zu sich kam, preßte er sich die Nägel in das Fleisch und erhob ein tiefes Stöhnen. »O, gnädiger Herr,« rief er, indem er Juxons Hände erfaßte, »wo ist Gott? ach, wo ist Gott?«
»Mein Sohn,« antwortete ihm der Bischof mit Festigkeit, »Ihr seht ihn nicht, weil ihn die irdischen Leidenschaften verbergen.«
»Mein Sohn,« sprach der König zu Aramis. »sei nicht trostlos. Du fragst, was Gott tut? Gott sieht auf deine treue Hingebung und auf mein Märtyrertum, und glaube mir, beiden wird ihr Lohn zuteil; somit halte dich über das, was geschieht, an die Menschen und nicht an Gott. Die Menschen sind es, welche mich zum Tode führen, die Menschen sind es, welche dir die Tränen erpressen.«
»Ja, Sire,« antwortete Aramis, «ja, Sie haben recht, ich muß die Schuld den Menschen zuschreiben und mich deshalb an sie halten.«
»Seht Euch, Juxon,« sprach der König, indem er niederkniete, »Ihr müßt mich noch anhören und ich muß doch beichten. Bleibt, o Herr,« sagte er zu Aramis, der sich zurückziehen wollte; »bleib, Parry; ich habe nichts zu sagen, was ich nicht in Gegenwart aller Welt sagen könnte, ich beklage nur, daß mich nicht alle hören können wie Ihr.« Juxon setzte sich, der König kniete vor ihm wie der demutvollste Gläubige, und fing an sein Bekenntnis abzulegen.
Remember
Als der König sein Beichtbekenntnis abgelegt und das Abendmahl empfangen hatte, verlangte er seine Kinder zu sehen. Es schlug zehn Uhr; somit war es keine große Verspätung, wie er es gesagt hatte. Inzwischen war das Volk schon bereit; es wußte, daß um zehn Uhr die Hinrichtung festgesetzt sei, und drängte sich in die an den Palast anstoßenden Straßen, und der König begann, dieses ferne Getöse zu unterscheiden, welches die Volksmenge und das Meer verursachen, wenn die eine durch ihre Leidenschaften, das andere durch Stürme in Bewegung gesetzt wird. Die Kinder des Königs kamen an; fürs erste die Prinzessin Charlotte,
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