Zwanzig Jahre nachher (German Edition)
nagelte. Dieses Blutgerüst, das bis zur Fensterhöhe, das ist etwa zwanzig Fuß hoch, aufgerichtet ward, hatte zwei untere Stockwerke. Wie verhaßt auch Parry dieser Anblick war, so suchte er doch unter den acht bis zehn Arbeitern, welche diese traurige Maschine aufführten, diejenigen aus, deren Geräusch dem König am widerlichsten fallen mußte, und so bemerkte er im zweiten Stockwerke zwei Männer, welche mittels eines Brecheisens die letzten Zapfen des eisernen Ballons ausbrachen; der eine von ihnen, ein wahrhafter Koloß, versah den Dienst des antiken Widders, der darin bestand, die Mauern einzustoßen. Bei jedem Stoße seines Instrumentes zerstob der Stein in Stücke. Der andere lag auf den Knien und zog die gesprengten Steine heraus. Die waren es augenscheinlich, welche den Lärm verursachten, über den der König Klage führte. Parry stieg über die Leiter und kam zu ihnen.
»Meine Freunde,« sprach er zu ihnen, »ich bitte Euch, arbeitet doch ein bißchen leiser. Der König schläft und ist des Schlafes bedürftig.« Der Mann mit dem Brecheisen hielt in der Arbeit inne und wandte sich halb um; doch da er stand, so konnte Parry sein Gesicht in der Finsternis, welche nach der Decke hin schwärzer wurde, nicht wahrnehmen. Der Mann auf den Knien wandte sich gleichfalls um, und da sein Gesicht, welches niedriger war als das seines Kameraden, von der Laterne beschienen wurde, so konnte es Parry unterscheiden. Dieser Mann starrte ihn fest an und legte einen Finger an den Mund. Parry wich betroffen zurück.
»Es ist gut, es ist gut,« sprach der Handwerker vortrefflich englisch; »kehre zu dem Könige zurück und melde, er würde, ob er auch in dieser Nacht schlecht schlafe, doch in der nächsten desto besser schlafen.«
Diese rauhen Worte, welche buchstäblich genommen so grausam klangen, wurden von den Arbeitern an den Seiten und im unteren Stockwerke mit einem gräßlichen Jubelgeschrei aufgenommen. Parry ging fort und glaubte, nur zu träumen. Karl erwartete ihn schon voll Ungeduld. In dem Momente, da er zurückkehrte, streckte die Schildwache vorwitzig ihren Kopf durch die Türe, um zu sehen, was der König tue. Der König hatte sich im Bette auf einen Ellbogen gestützt. Parry sperrte die Türe zu, ging mit freudestrahlendem Antlitz zu dem Könige und sprach mit leiser Stimme zu ihm:
»Sire, wissen Sie, wer die Arbeiter sind, welche so viel Lärm erregen?«
»Nein,« entgegnete Karl, schwermütig den Kopf schüttelnd, »wie kann ich das wissen? Kenne ich denn diese Leute?«
»Sire,« sprach Parry noch leiser und über das Bett seines Gebieters hingeneigt, »Sire, es ist der Graf de la Fere und sein Begleiter.«
»Die mein Schafott errichten?« fragte der König erstaunt.
»Ja, und während sie es errichten, in die Mauer ein Loch brechen.«
»Still,« versetzte der König, voll Schrecken um sich blickend, »hast du sie gesehen?«
»Ich habe mit ihnen gesprochen.« Der König faltete die Hände und schlug die Augen zum Himmel auf; nach einem kurzen, innigen Gebete sprang er von seinem Bette und ging an das Fenster, wo er die Vorhänge zurückschlug. Die Schildwachen des Balkons befanden sich noch immer daselbst, und jenseits desselben war eine dunkle Fläche, auf welcher Menschen wie Gespenster vorüberwandelten. Karl konnte nichts wahrnehmen, doch fühlte er unter seinen Füßen die Erschütterung der Stöße, die seine Freunde führten, und jeder dieser Stöße widerhallte jetzt in seinem Herzen. Parry hatte sich nicht getäuscht, er hatte Athos erkannt; er war es wirklich, der mit Porthos' Hilfe ein Loch aushöhlte, worin einer der Querbalken angebracht werden sollte.
Dieses Loch setzte sich mit einer Art Windfang in Verbindung, der sich gerade unter dem Fußboden des königlichen Zimmers befand. War man einmal in dieser Höhlung, die einem Entresol sehr ähnlich war, so konnte man mit einem Brecheisen und starken Schultern, wie sie Porthos hatte, eine Decke des Fußbodens heben: der König würde sonach durch die Öffnung schlüpfen, mit seinen Rettern ein Fach des Schafotts erreichen, das ganz mit schwarzem Tuche überhangen war, gleichfalls einen Handwerkeranzug nehmen, der schon für ihn bereit lag, und ohne Aufsehen, ohne Furcht mit den vier Arbeitern hinabsteigen. Würden die Schildwachen Arbeiter sehen, die am Schafott beschäftigt waren, so würden sie dieselben ohne Verdacht vorüberlassen. Wie schon bemerkt, stand die Feluke in Bereitschaft. Dieser Plan war gut angelegt, leicht und
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