Zwanzig Jahre nachher (German Edition)
sodann der Herzog von Glocester; jene ein kleines, schönes, blondes Mädchen mit Tränen in den Augen; dieser ein junger Knabe von acht bis neun Jahren, dessen trockenes Auge und verächtlich aufgeworfene Lippe den ankeimenden Stolz verrieten. Der Knabe hatte die ganze Nacht hindurch geweint, vor all diesen Menschen aber weinte er nicht mehr. Karl fühlte bei dem Anblick dieser zwei Kinder, die er schon zwei Jahre lang nicht gesehen, und jetzt nur im Augenblicke des Sterbens wiedersah, sein Herz weich werden. Eine Träne trat ihm ins Auge, er wandte sich ab, um sie zu trocknen, da er stark vor denen sein wollte, welchen er ein so drückendes Erbteil des Schmerzes und des Unglückes hinterließ.
Er sprach zuvörderst mit dem jungen Mädchen, zog es an sich, und empfahl ihm Frömmigkeit, Ergebenheit und kindliche Liebe; sodann nahm er den jungen Herzog von Glocester, und setzte ihn auf seinen Schoß, damit er ihn zugleich an sein Herz drücken und im Gesichte liebkosen konnte. »Mein Sohn,« sprach er zu ihm, »du hast in den Straßen und Vorzimmern viele Menschen gesehen, als du hierherkamst, diese Menschen stehen im Begriff, deinem Vater den Kopf abzuschlagen, das vergiß du nie. Sie werden dich vielleicht eines Tages, wenn sie dich bei sich sehen und in ihrer Gewalt haben, mit Ausschließung des Prinzen von Wallis oder des Herzogs von York, deiner älteren Brüder, wovon der eine in Frankreich, der andere ich weiß nicht wo ist, zum Könige erheben wollen; allein du bist nicht der König, mein Sohn, und kannst es nur nach ihrem Tode werden. Schwöre mir also, dir die Krone nicht früher auf das Haupt setzen zu lassen, als bis du rechtmäßige Ansprüche darauf hast; denn, höre mich wohl, mein Sohn, wenn du das tätest, so würden sie dir eines Tages Kopf und Krone mitsammen abschlagen, und an diesem Tage könntest du nicht so ruhig und ohne Gewissensbisse sterben, wie ich sterbe. Schwöre, mein Sohn.« Der Knabe legte seine kleine Hand in die Rechte seines Vaters und sprach: »Sire, ich schwöre Ew. Majestät – – « Karl unterbrach ihn und sagte: »Heinrich, nenne mich deinen Vater.«
»Mein Vater,« begann der Knabe wieder, »ich schwöre Euch, daß sie mich eher töten, als zum König machen sollen.«
»Gut, mein Sohn,« versetzte Karl. »Jetzt umarme mich, und auch du, Charlotte, und vergeht meiner nicht.«
»O, nein, nie, nie!« riefen die zwei Kinder und schlangen ihre Arme um den Hals des Königs. »Lebt wohl,« sprach Karl, »lebt wohl, meine Kinder! Führet sie fort, Juxon, ihre Tränen würden mir den Mut zum Sterben benehmen.« Juxon nahm die armen Kinder von den Armen ihres Vaters, und übergab sie denen wieder, welche sie hergebracht hatten. Hinter ihnen öffneten sich die Türen, wo jedermann eintreten konnte. Als sich der König mitten unter Wachen und Neugierigen, die in das Zimmer drangen, allein sah, erinnerte er sich, daß der Graf de la Fère nahe bei ihm unter dem Fußboden des Zimmers sei, und, indem er ihn nicht sehen konnte, vielleicht immer noch hoffte. Er bebte, das leiseste Geräusch möchte Athos ein Signal scheinen, und so könnte er sich dadurch, daß er seine Arbeit fortsetzte, selber verraten. Er verhielt sich also mit Anstrengung ganz unbeweglich, und forderte durch sein Beispiel alle Anwesenden zur Ruhe auf. Der König täuschte sich nicht, Athos befand sich wirklich unter seinen Füßen, er horchte und verzweifelte, das Signal zu vernehmen; bisweilen begann er in seiner Ungeduld aufs neue Steine auszubrechen, doch in der Furcht, gehört zu werden, unterließ er es bald wieder. Diese schauervolle Untätigkeit währte zwei Stunden lang. Im königlichen Zimmer herrschte Todesstille. Jetzt entschloß sich Athos, nach der Ursache dieser düstern, lautlosen Ruhe zu forschen, die nur das endlose Geräusch der Menge störte. Er lüftete den Vorhang, der die Öffnung der Kluft verhüllte, und stieg auf das erste Stockwerk des Schafotts hinab, über seinem Scheitel, kaum vier Zoll entfernt, war der Fußboden, der mit dem Balkon in gleicher Höhe stand und das Schafott bildete. Dieses Geräusch, welches er bis jetzt nur dumpf gehört hatte, und das jetzt laut und bedrohlich bis zu ihm drang, ließ ihn voll Schrecken aufspringen. Er schritt bis an den Rand des Schafotts, schlug das schwarze Tuch in der Höhe seiner Augen zurück und sah Reiter um das entsetzliche Blutgerüst aufgestellt, jenseits der Reiter eine Abteilung Hellebardiere, hinter diesen Musketiere und hinter den
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