Zwanzig Jahre nachher (German Edition)
kannten, wollten ihn von hinnen zerren. »Einen Augenblick!« rief der Gefangene auf französisch: »gnädigster Herr! ich bin bereit zu sprechen.«
»Ah!« sprach der Prinz lachend, »wußte ich doch, daß wir an dieses Ziel kommen würden. Ich habe ein wundersames Geheimnis, um die Zungen zu lösen.«
»Allein unter der Bedingung,« sagte der Gefangene, »daß mir Ew. Hoheit das Leben zusichert.«
»Auf Edelmannswort,« sprach der Prinz. »Nun so verhören Sie mich, gnädigster Herr.«
»Wo hat das Heer über die Lys gesetzt?«
»Zwischen Saint-Venaut und Aire.«
»Wer befehligt es?«
»Der Graf von Fuenfaldagna, der General Beck und der Erzherzog in Person.«
»Wie stark ist es?«
»Es zählt achtzehntausend Mann und sechsunddreißig Kanonen.«
»Und marschiert –?«
»Gegen Lens.«
»Seht Ihr nun, meine Herren!« sprach der Prinz und wandte sich mit triumphierender Miene zu dem Marschall von Grammont und den andern Offizieren. »Ja, gnädigster Herr,« entgegnete der Marschall, »Sie haben alles das erraten, was zu erraten dem menschlichen Geiste möglich ist.«
»Ruft mir Plessis-Belliève, Villequier und d'Erlac,« sprach der Prinz, »ruft alle Truppen zurück, die jenseits der Lys stehen; sie sollen sich bereit halten, heute nacht aufzubrechen: morgen wollen wir höchstwahrscheinlich den Feind angreifen.« Dann wandte er sich zu dem Gefangenen und fuhr fort: »Führet diesen Menschen hinweg, und habt auf ihn ein sorgsames Auge. Sein Leben hängt ab von den Auskünften, die er uns erteilt hat; sind sie wahr, so soll er frei sein, sind sie falsch, so werde er erschossen.« Man brachte den Gefangenen hinweg. »Graf von Guiche,« fuhr der Prinz fort, »Ihr bleibt bei Eurem Vater, da Ihr ihn seit langer Zeit nicht gesehen habt.« – Dann wandte er sich zu Rudolf und sagte: »Mein Herr, wenn Ihr nicht allzu sehr ermüdet seid, so begleitet mich.«
»Bis ans Ende der Welt, gnädigster Herr.« rief Rudolf, da er für diesen jungen Heerführer, der ihm seines Rufes so würdig schien, eine nie gekannte Begeisterung fühlte. »Gehen wir also, mein Herr,« sprach er; »Ihr seid ein guter Ratgeber, das haben wir eben erfahren; morgen werden wir sehen, wie Ihr bei der Ausführung seid.«
Inzwischen erdröhnten bei jedem Schritte, mit dem sich die kleine Truppe Lens näherte, die Kanonen immer lauter. Der Prinz bewaffnete sich mit dem Blicke eines Geiers. Man hätte geglaubt, er besitze die Kraft, durch den Vorhang von Bäumen zu dringen, der sich vor ihm ausbreitete und den Horizont begrenzte. Endlich vernahm man den Kanonendonner so nahe, als befände man sich wirklich nicht mehr weiter als etwa eine Meile vom Schlachtfelde entfernt. In der Tat bemerkte man bei der Biegung des Weges das kleine Dorf Annay. Die Bauern waren höchlich bestürzt; das Gerücht von den Grausamkeiten der Spanier erfüllte jeden mit Entsetzen; schon hatten 5 sich die Weiber geflüchtet und nach Vitry zurückgezogen, nur einige Männer blieben noch zurück. Als sie den Prinzen erblickten, eilten sie herbei, da ihn einer aus ihnen erkannt hatte. »Ach, gnädigster Herr, kommen Sie, um all diese Räuber von Spaniern und Lothringern zu vertreiben?«
»Ja.« erwiderte der Prinz, »wenn du mein Führer sein willst.«
»Recht gern, gnädigster Herr. Wohin soll ich Ew. Hoheit führen?«
»Auf irgendeinen hochgelegenen Punkt, von wo ich Lens und seine Umgebungen überblicken kann.«
»In dieser Beziehung habe ich, was Sie bedürfen.«
»Kann ich dir trauen? Bist du ein guter Franzose?«
»Ich bin ein alter Soldat von Rocroy, gnädigster Herr.«
»Da hast du,« sprach der Prinz, indem er ihm seine Börse reichte, »das nimm für Rocroy. Willst du ein Pferd oder gehst du lieber zu Fuß?«
»Zu Fuß, gnädigster Herr, zu Fuß; ich habe stets bei der Infanterie gedient. Überdies denke ich, Ew. Hoheit auf Wegen zu führen, wo Sie wohl selbst absteigen müssen.« »Komm' also,« sprach der Prinz, »und laß uns keine Zeit verlieren. Der Landmann machte sich auf und lief vor dem Pferde des Prinzen her.
Nach Verlauf von zehn Minuten kam man zu den Ruinen eines alten Schlosses, welche den Gipfel eines Hügels krönten, von wo aus man die ganze Gegend überblickte. Kaum eine Viertelstunde entfernt, gewahrte man das aufs äußerste gebrachte Lens, und vor Lens die ganze feindliche Armee. Der Prinz übersah mit einem einzigen Blicke die ganze Strecke von Lens bis Vismy; und in einem Momente entwickelte sich in seinem Geiste der ganze Plan
Weitere Kostenlose Bücher