Zwei an Einem Tag
nicht. Eigentlich habe ich nur die Interviews mit den Filmstars und den Bands geführt.« Er fragt sich, ob all das Gerede über Bands und Filmstars nicht zu angeberisch klingt, aber damit käme er sowieso nicht durch, schließlich sind da noch die Zwillinge, immer bereit, ihm den Rest zu geben.
»Hängen Sie denn immer noch viel mit Filmstars herum?«, fragt einer von ihnen gespielt beeindruckt, die arrogante kleine arische Missgeburt.
»Weniger. Jetzt nicht mehr.« Er beschließt, ehrlich zu sein, ohne Bedauern oder Selbstmitleid. »Das gehört jetzt … der Vergangenheit an.«
»Dexter ist nur bescheiden«, sagt Sylvie. »Er bekommt ständig neue Angebote. Er ist sehr wählerisch, was die Arbeit vor der Kamera angeht. In Wirklichkeit will er Produzent werden. Dexter hat seine eigene Medienproduktionsfirma!«, sagt sie stolz, und ihre Eltern nicken anerkennend. Ein Geschäftsmann, ein Unternehmer – das klingt schon besser.
Dexter lächelt auch, aber Tatsache ist, dass es in seinem Leben in letzter Zeit sehr viel ruhiger geworden ist. Die Mayhem TV AG hatte bisher weder einen Auftrag noch ein Treffen mit einem Auftraggeber und existiert bislang nur als Briefkopf auf teurem Papier. Aaron, sein Agent, hat ihn fallengelassen. Es gibt keine Sprecherjobs und keine Werbung mehr und nicht mehr ganz so viele Premieren. Er ist nicht länger die Stimme des Premium-Ciders, wurde in aller Stille aus der Pokerrunde ausgeschlossen, und auch der Typ, der bei Jamiroquai die Congas spielt, ruft ihn nicht mehr an. Aber trotz allem, trotz der beruflichen Talfahrt, geht es ihm gut, denn er ist in Sylvie verliebt, die wunderschöne Sylvie, und sie unternehmen Kurztrips.
Das Wochenende beginnt und endet häufig am Stansted-Flughafen, von wo sie nach Genua oder Bukarest, Rom oder Reykjavik fliegen, Mini-Reisen, die Sylvie mit der Präzision einer Invasionsarmee plant. Sie geben ein atemberaubend attraktives, urbanes, europäisches Paar ab, übernachten in exklusiven kleinen Boutique-Hotels, gehen spazieren und einkaufen und einkaufen und spazieren, trinken in Straßencafés schwarzen Kaffee aus winzigen Tassen und schließen sich anschließend ein in dem minimalistischen braungrauen Hotelzimmer mit Nasszelle und einer einzelnen Bambusstange in einer langen, schmalen Vase.
Wenn sie nicht die kleinen, unabhängigen Geschäfte in den Hauptstädten Europas erkunden, verbringen sie ihre Zeit in West-London mit Sylvies Freunden: zierliche, hübsche Mädchen mit harten Gesichtern und ihre rotwangigen Freunde mit den dicken Hintern, die wie Sylvie und ihre Freundinnen in der Marketing-oder Werbebranche oder bei der Stadt arbeiten. Eigentlich sind sie nicht seine Kragenweite, diese megaselbstbewussten Über-Freunde. Sie erinnern ihn an die Klassensprecher, die er aus der Schule kennt; ganz nett, aber nicht besonders cool. Egal. Auf Coolness kann man kein Leben aufbauen, und dieses weniger chaotische, geregeltere Leben hat seine Vorteile.
Abgeklärtheit und Betrunkenheit passen nicht wirklich zusammen, und außer dem gelegentlichen Glas Champagner oder Wein beim Essen trinkt Sylvie keinen Alkohol. Zudem raucht sie nicht, nimmt keine Drogen, isst kein rotes Fleisch, kein Brot, keinen raffinierten Zucker und keine Kartoffeln. Und sie hat kein Verständnis dafür, wenn Dexter sich betrinkt. Seine berüchtigten Mixologie-Künste lassen sie völlig kalt. Sie findet Rauschzustände peinlich und unmännlich, und mehr als einmal fand er sich wegen des dritten Martinis am Ende eines Abends allein wieder. Ohne, dass es offen ausgesprochen wird, steht er vor der Wahl: Entweder du reißt dich zusammen und bringst dein Leben in Ordnung, oder du verlierst mich. Dementsprechend gibt es neuerdings weniger Kater, weniger Nasenbluten, weniger Morgen, an denen er sich vor Scham und Selbsthass windet. Er geht nicht mehr mit einer Flasche Rotwein zu Bett, für den Fall, dass er nachts Durst bekommt, und dafür ist er dankbar. Er fühlt sich wie ein neuer Mensch.
Aber das Erstaunlichste an Sylvie ist, dass er sie so viel besser mag als sie ihn. Er mag ihre Geradlinigkeit, das Selbstbewusstsein und die Haltung. Er mag ihren wildentschlossenen, rücksichtslosen Ehrgeiz und den teuren, unfehlbaren Geschmack. Natürlich mag er, wie sie aussieht und wie sie zusammen aussehen, aber auch, dass ihr Sentimentalität völlig abgeht: Sie ist hart, glänzend und begehrenswert wie ein Diamant, und zum ersten Mal in seinem Leben muss er jemandem nachlaufen. Bei ihrem ersten
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