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Zwei an Einem Tag

Zwei an Einem Tag

Titel: Zwei an Einem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Nicholls
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es laut auszusprechen, wollte sie aussehen wie Jean Seberg in Außer Atem , denn wenn man schon als Schriftstellerin in Paris lebte, dann mit Stil. Knapp drei Wochen später war ihr zwar nicht mehr jedes Mal zum Heulen, wenn sie sich im Spiegel sah, trotzdem fasste sie sich ständig an den Kopf, als wollte sie sich eine Perücke zurechtzupfen. Angespannt widmete sie sich dem Knopf ihrer brandneuen, taubengrauen Bluse, die sie sich heute Morgen in einem Geschäft, nein, einer Boutique in der Rue de Grenelle gekauft hatte. Zwei offene Knöpfe wirkten prüde, bei drei sah man zu viel Dekolleté. Sie machte den dritten Knopf auf, schnalzte mit der Zunge und wandte ihre Aufmerksamkeit den Passagieren zu. Die Menge zerstreute sich allmählich, und sie fragte sich schon, ob er den Zug verpasst hatte, als sie ihn schließlich entdeckte.
    Er wirkte gebrochen. Mager und erschöpft mit einem struppigen Dreitagebart, der ihm nicht stand, ein Gefängnisbart, und sie musste an das potenzielle Desaster denken, das sein Besuch werden konnte. Aber als er sie sah, lächelte er und ging schneller, und sie lächelte zurück, wurde verlegen, während sie am Ausgang wartete, und wusste nicht, wo sie ihre Hände lassen oder hinsehen sollte. Die Entfernung zwischen ihnen sah riesig aus; lächeln und anstarren, lächeln und anstarren, die ganzen 50 Meter? 45 Meter. Sie sah zu Boden, hinauf zu den Dachsparren. 40 Meter, sie sah Dexter, dann wieder den Boden. 35 Meter …
    Während er die riesige Entfernung zurücklegte, war er überrascht, wie sehr sie sich in den letzten acht Wochen, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte, verändert hatte, in den zwei Monaten, seit alles passiert war. Ihr Haar war sehr kurz geschnitten mit Ponyfransen in der Stirn, und sie hatte mehr Farbe im Gesicht; das Sommergesicht, an das er sich erinnerte. Und besser gekleidet: hochhackige Schuhe, ein schicker, dunkler Rock, eine blassgraue, einen Tick zu weit aufgeknöpfte Bluse, die den Blick auf gebräunte Haut und ein Dreieck dunkler Sommersprossen unterhalb des Halses freigab. Anscheinend wusste sie immer noch nicht, was sie mit ihren Händen anstellen oder wohin sie schauen sollte, und allmählich wurde er von ihrer Verlegenheit angesteckt. Zehn Meter. Was würde er sagen, und wie? War es ja oder nein?
    Er ging schneller auf sie zu, und schließlich lagen sie sich in den Armen.
    »Du hättest mich nicht abholen müssen.«
    »Natürlich musste ich dich abholen. Tourist.«
    »Das gefällt mir.« Er fuhr ihr mit dem Daumen durch den kurzen Pony. »Gibt es nicht irgendein Wort dafür?«
    »Mannweib?«
    »Garçonne. Du siehst aus wie eine Garçonne.«
    »Nicht wie ein Mannweib?«
    »Kein bisschen.«
    »Du hättest mich vor zwei Wochen sehen sollen. Ich habe ausgesehen wie eine Kollaborateurin!« Er verzog keine Miene. »Ich bin zum ersten Mal zu einem Pariser Friseur gegangen. Fürchterlich! Ich saß im Stuhl und dachte: Arrêtez-vous, arrêtez-vous! Das Lustige ist, auch in Paris quetschen sie dich über die Ferien aus. Man stellt sich vor, sie werden über zeitgenössischen Tanz oder darüber sprechen, ob der Mensch je wirklich frei sein kann, aber stattdessen heißt es: » Que faites vous de beau pour les vacances? Vous sortez ce soir? « Immer noch keine Reaktion. Sie redete zu viel, gab sich zu viel Mühe. Beruhige dich. Schluss mit dem Redeschwall. Arrêtez-vous .
    Er berührte ihre kurzen Nackenhaare. »Also, ich finde, es steht dir.«
    »Ich bin mir nicht sicher, ob ich das Gesicht dafür habe.«
    »Doch, hast du.« Er hielt ihre Arme hoch und sah sie an. »Sieht aus, als hättest du dich für einen Kostümball als Mondäne Pariserin verkleidet.«
    »Oder als Callgirl.«
    »Aber ein Callgirl der Luxusklasse.«
    »Na, umso besser.« Sie strich mit den Fingerknöcheln über den Stoppelbart an seinem Kinn. »Und als was gehst du?«
    »Als Kaputter, Geschiedener Selbstmordkandidat.« Die Bemerkung war unbedacht, und er bereute sie sofort. Kaum angekommen, und schon verdarb er alles.
    »Wenigstens bist du nicht verbittert«, sagte sie und nahm damit Zuflucht zur erstbesten Standardantwort.
    »Soll ich wieder einsteigen?«
    »Noch nicht.« Sie nahm seine Hand. »Komm, gehen wir, ja?«
    Sie traten aus der Gare du Nord hinaus in die stickige, dunstige Luft: Ein typischer Sommertag in Paris, schwül, mit dicken grauen Wolken, die Regen verhießen. »Ich dachte, wir gehen zuerst am Kanal einen Kaffee trinken. Zu Fuß ist es eine Viertelstunde, ist das okay? Dann noch

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