Zwei an Einem Tag
haben. Frei zu sein, keine Verantwortung zu tragen. Und jetzt habe ich das alles und sitze zu Hause herum, mein Kram ist immer noch in den Umzugskartons, und ich vermisse meine Tochter.«
»Aber du siehst sie doch.«
»Alle zwei Wochen, eine lausige Übernachtung.«
»Könntest du sie nicht öfter sehen, um mehr Besuchszeit bitten …«
»Würde ich auch! Doch ich sehe jetzt schon die Angst in ihren Augen, wenn ihre Mum wegfährt; lass mich nicht allein mit diesem komischen, traurigen Freak! Ich kaufe ihr alle möglichen Geschenke, es ist erbärmlich, jedes Mal, wenn sie ankommt, liegt ein Berg Geschenke da, als wäre ständig Weihnachten, denn wenn wir keine Geschenke aufmachen, weiß ich nicht, was ich mit ihr anfangen soll. Wenn wir keine Geschenke aufmachen, fängt sie an zu weinen und nach ihrer Mummy zu fragen, womit sie Mummy und diesen Mistkerl Callum meint, und ich weiß noch nicht mal, was ich ihr kaufen soll, denn immer, wenn sie kommt, hat sie sich verändert. Man dreht ihr eine Woche oder zehn Tage den Rücken zu, und alles hat sich verändert! Sie hat laufen gelernt, verdammte Scheiße, und ich war nicht dabei! Wie kann das sein? Wie konnte ich das verpassen? Wäre das nicht meine Aufgabe? Ich habe nichts falsch gemacht, und plötzlich …« Seine Stimme zitterte kurz, und hastig wechselte er die Tonart und klammerte sich wieder an den Zorn. »… natürlich ist Callum bei ihnen, in seiner dicken Villa in Scheiß-Muswell-Hill …«
Aber auch mit dem Zornausbruch konnte er nicht verhindern, dass seine Stimme brach. Abrupt schwieg er, drückte sich die Finger auf die Nase und riss die Augen auf, als wollte er ein Niesen unterdrücken.
»Alles klar?«, fragte sie und legte ihm die Hand aufs Knie.
Er nickte. »Ich führe mich nicht das ganze Wochenende so auf, versprochen.«
»Mich störts nicht.«
»Mich schon. Es ist … erniedrigend.« Er sprang auf und nahm seine Tasche. »Bitte, Em. Lass uns von was anderem sprechen. Erzähl mir was. Erzähl mir von dir.«
Sie schlenderten am Kanal entlang, gingen um die Place de la République, dann Richtung Osten die Rue du Faubourg-St.-Denis hinunter, und sie erzählte von ihrer Arbeit. »Das zweite ist eine Fortsetzung. So einfallsreich bin ich. Ich habe jetzt ungefähr drei Viertel fertig. Julie Criscoll geht auf Klassenfahrt nach Paris, verknallt sich in einen französischen Jungen und erlebt alle möglichen Abenteuer, Überraschung, Überraschung. Das ist meine Ausrede dafür, hier zu sein. Zu ›Recherchezwecken‹.«
»Und das erste verkauft sich gut?«
»Erzählt man mir zumindest. Gut genug, dass sie für zwei weitere bezahlen.«
»Wirklich? Noch zwei Fortsetzungen?«
»Ich fürchte, ja. Julie Criscoll ist, was man eine Marke nennt. Anscheinend ist da das meiste Geld zu holen. Man muss eine Marke haben! Und wir verhandeln mit dem Fernsehen. Für eine Sendung. Eine Zeichentrickserie für Kinder, die auf meinen Illustrationen basiert.«
»Du verarschst mich!«
»Ich weiß. Blöd, was? Ich arbeite bei ›den Medien‹! Ich bin Koproduzentin!«
»Was soll das denn heißen?«
»Gar nichts. Ich meine, es macht mir nichts aus. Ich mags. Aber ich würde eines Tages gern Erwachsenenbücher schreiben. Ich wollte schon immer einen dieser großen, zornigen Romane zur Lage der Nation schreiben, was Wildes und Zeitloses, das die menschliche Seele enthüllt, nicht so was Albernes über Knutschereien mit französischen Jungs in der Disco.«
»Es geht doch nicht nur darum, oder?«
»Vielleicht nicht. Vielleicht passiert das auch einfach: Zuerst will man mithilfe von Sprache die Welt verändern, und am Ende glaubt man, es reiche, ein paar gute Witze zu reißen. Gott, das hör sich einer an. Mein Leben in der Kunst!«
Er stupste sie an.
»Was?«
»Ich freu mich für dich, das ist alles.« Er legte ihr den Arm um die Schultern und drückte sie. »Eine Schriftstellerin. Eine richtige Schriftstellerin. Endlich tust du das, was du schon immer tun wolltest.« In der Haltung gingen sie etwas unbehaglich und unbeholfen weiter, und die Tasche in seiner anderen Hand schlug ihm gegen das Bein, bis es zu unbequem wurde und er sie losließ.
Sie schlenderten weiter, und nach und nach besserte sich ihre Laune. Die Wolkendecke war aufgerissen, und der Faubourg-St.-Denis erwachte zum Leben, als der Abend begann. Es war ein knallbuntes, lautes, lebhaftes Gewirr, fast wie auf einem Basar, und Emma, ganz nervöse Fremdenführerin, warf Dexter immer wieder verstohlene
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