Zwei an Einem Tag
Blicke zu. Sie überquerten den breiten, geschäftigen Boulevard de Belleville und gingen Richtung Osten entlang der Grenze des neunzehnten und zwanzigsten Arrondissement. Als sie den Hügel hinaufstiegen, deutete Emma auf ihre Lieblingsbars, sprach über die lokale Geschichte, die Piaf und die Pariser Kommune von 1871, die örtliche chinesische und nordafrikanische Gemeinde, und Dexter hörte mit halbem Ohr zu und fragte sich, was passieren würde, wenn sie schließlich in ihrer Wohnung ankamen. Hör zu, Emma, wegen dieser Sache …
»… ein bisschen wie das Hackney von Paris«, sagte sie gerade.
Dexter lächelte aufreizend.
Sie stieß ihn an. »Was?!«
»Nur du würdest nach Paris fahren, um ein Viertel wie Hackney zu finden.«
»Es ist interessant. Finde ich zumindest.«
Schließlich gingen sie eine ruhige Seitenstraße hinunter und kamen zu einer Art Garagentor, wo Emma einen Code in ein Eingabefeld tippte und das schwere Tor mit der Schulter aufstieß. Sie betraten einen chaotischen, heruntergekommenen Innenhof, der auf allen Seiten von Wohnungen umgeben war. Wäsche hing auf rostigen Balkonen, vernachlässigte Topfpflanzen welkten in der Abendsonne. Der Hof hallte vom Geplärr wetteifernder Fernseher und dem Geschrei von Kindern wider, die mit einem Tennisball Fußball spielten, und Dexter unterdrückte einen Anflug von Gereiztheit. Als er die Situation in Gedanken durchgegangen war, hatte er sich einen baumumschatteten Platz ausgemalt, Häuser mit Fensterläden, einen Ausblick auf Notre-Dame vielleicht. All das war schon in Ordnung, auf großstädtische, industrielle Art sogar schick, aber etwas Romantischeres hätte es ihm leichter gemacht.
»Wie gesagt, nichts Großartiges. Leider ist es der fünfte Stock.«
Sie drückte den Lichtschalter mit Zeitbegrenzer, und sie stiegen die steile, enge, schmiedeeiserne Wendeltreppe hinauf, die sich stellenweise von der Wand zu lösen schien. Emma wurde plötzlich bewusst, dass Dexters Blick auf Augenhöhe mit ihrem Hinterteil war, und fing nervös an, nichtvorhandene Falten an ihrem Rock glattzustreichen. Als sie den Treppenabsatz des dritten Stocks erreicht hatten, ging das Licht aus, sie fanden sich im Dunkeln wieder, und Emma tastete nach seiner Hand, führte ihn die Stufen hinauf, bis sie vor einer Tür standen. In der trüben Helligkeit des Oberlichts lächelten sie sich an.
»Das ist es. Chez moi!«
Sie nahm einen riesigen Schlüsselbund aus der Tasche und machte sich an die komplexe Aufgabe, diverse Schlösser aufzuschließen. Nach einer Weile öffnete sie die Tür zu einer kleinen, aber feinen Wohnung mit abgewetzten, grau gestrichenen Dielen, einem großen, ausgebeulten Sofa und einem kleinen, ordentlichen Schreibtisch mit Blick auf den Innenhof, die Wände waren von gewichtig aussehenden französischen Büchern mit einheitlich blassgelben Rücken gesäumt. Ein frischer Strauß Rosen und Obst standen nebenan auf dem Küchentisch, und durch die andere Tür erhaschte Dexter einen Blick in das Schlafzimmer. Sie hatten noch nicht besprochen, wo er schlafen würde, aber er konnte das einzige Bett in der Wohnung sehen, ein ausladendes, schmiedeeisernes Modell, altmodisch und sperrig wie aus einem Landhaus. Ein Schlafzimmer, ein Bett. Die Abendsonne schien durch die Fenster und betonte die Tatsache noch. Er überprüfte, ob sich das Sofa ausklappen ließ. Fehlanzeige. Ein Bett. Sein Herz schlug schneller, aber vielleicht lag das ja nur am Treppensteigen.
Sie machte die Tür zu, und es wurde still.
»So. Da wären wir.«
»Es ist toll.«
»Es ist okay.« Das Treppensteigen und die Nervosität hatten Emma durstig gemacht, und sie ging zum Kühlschrank, machte die Tür auf und nahm eine Flasche Mineralwasser heraus. Sie trank in tiefen Zügen, als Dexter ihr die Hand auf die Schulter legte, plötzlich vor ihr stand und sie küsste. Sie hatte den Mund voller Sprudelwasser und presste die Lippen zusammen, um ihn nicht vollzuspritzen wie ein Sodaspender. Sie lehnte sich zurück, deutete auf ihre Wangen, die absurd aufgepustet waren wie bei einem Kugelfisch, fuchtelte mit den Armen und gab ein Geräusch von sich, das so viel bedeuten sollte wie »Moment«.
Ritterlich trat Dexter einen Schritt zurück, damit sie schlucken konnte. »Entschuldige.«
»Kein Problem. Hast mich nur überrascht.« Sie wischte sich den Mund ab.
»Alles okay?«
»Ja, aber Dexter, ich muss dir sagen …«
Wieder küsste er sie, ungeschickt und zu heftig, bis der Küchentisch, an den
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