Zwei an Einem Tag
Traurigkeit darin geben als unbedingt notwendig.
Das war kein besonders toller Plan, und er hatte auch schon Fehler gemacht. Diese Nacht beispielsweise würde bestimmt nicht ohne unangenehme Folgen bleiben: Tränen, peinliche Telefongespräche und Vorwürfe. Am besten, er verdrückte sich so schnell wie möglich, und zur Fluchtvorbereitung sah er sich nach seinen abgelegten Kleidern um. Als aus dem Badezimmer das warnende Scheppern und Rauschen einer antiken Toilettenspülung ertönte, legte er das Buch hastig zurück, fand unter dem Bett ein kleines gelbes Colman’s-Senfglas, öffnete es, um festzustellen, ja, es enthielt Kondome sowie die winzigen, grauen Überbleibsel eines Joints, die aussahen wie Mäusedreck. Das kleine gelbe Senfglas und die Aussicht auf Sex und Drogen gaben ihm neue Hoffnung, und er beschloss, wenigstens noch ein Weilchen zu bleiben.
Im Badezimmer wischte sich Emma Morley die Zahnpasta-Halbmonde aus den Mundwinkeln und fragte sich, ob das alles nicht ein schrecklicher Fehler war. Nach vierjähriger romantischer Durststrecke war sie endlich, endlich mit jemandem im Bett gelandet, den sie wirklich mochte, auf Anhieb gemocht hatte, seit sie ihn 1984 auf einer Party zum ersten Mal gesehen hatte, doch in ein paar Stunden würde er weg sein. Wahrscheinlich für immer. Er würde sie wohl kaum bitten, ihn nach China zu begleiten – und abgesehen davon boykottierte sie China. Aber er war in Ordnung, oder? Dexter Mayhew. Insgeheim hatte sie zwar den Verdacht, dass er nicht übermäßig helle und etwas zu selbstzufrieden war, aber er war beliebt, witzig und – das ließ sich nicht leugnen – verdammt gutaussehend. Weshalb war sie dann so kratzbürstig und sarkastisch? Wieso konnte sie nicht so selbstbewusst und amüsant sein wie die adretten, gutgelaunten Mädchen, mit denen er sonst herumhing? Morgenlicht drang durch das winzige Badezimmerfenster. Nüchternheit. Mit den Fingerspitzen fuhr sie sich durch das widerspenstige Haar, schnitt eine Grimasse, zog die Kette der antiken Klospülung und ging zurück ins Zimmer.
Vom Bett aus sah Dexter sie im Türrahmen auftauchen, sie trug das Barett und den Talar, die sie für die Abschlusszeremonie hatten ausleihen müssen, und schlang das Bein gespielt lasziv um den Türrahmen, in der Hand das zusammengerollte Abschlusszeugnis. Sie spähte über den Brillenrand und zog sich das Barett tief ins Gesicht. »Und, wie seh ich aus?«
»Steht dir. Besonders das kecke Hütchen. Und jetzt zieh das aus und komm zurück ins Bett.«
»Vergiss es. Ich habe 30 Mäuse dafür hingeblättert. Das muss man ausnutzen.« Sie schlang den Talar um sich wie ein Vampircape. Dexter zog daran, aber sie schlug mit der Zeugnisrolle nach ihm, setzte sich auf den Bettrand, nahm die Brille ab und schlüpfte aus dem Talar. Er erhaschte einen letzten Blick auf ihren nackten Rücken und die Rundung ihrer Brust, bevor sie sich ein schwarzes T-Shirt überzog, das sofortige Nuklearabrüstung forderte. Das wars dann wohl, dachte er. Nichts war sexuellem Begehren so abträglich wie ein langes schwarzes politisches T-Shirt, außer vielleicht ein Tracy-Chapman-Album.
Resigniert hob er das Zeugnis vom Boden auf, nahm das Gummiband ab, entrollte es und verkündete laut: »Englisch und Geschichte, Doppelabschluss, Einskommanull.«
»Da kannst du mit deinem ›Befriedigend‹ einpacken.« Sie griff nach dem Zeugnis. »He, vorsichtig damit.«
»Lässt es dir wohl einrahmen, was?«
»Meine Eltern lassen sich ’ne Tapete draus machen.« Sie rollte es fest zusammen und klopfte gegen die Enden. »Oder laminierte Platzdeckchen, oder meine Mum lässt es sich auf den Rücken tätowieren.«
»Wo sind deine Eltern überhaupt?«
»Och, nebenan.«
Er verzog das Gesicht. »Ohne Scheiß?«
Sie lachte. »Nö. Sind wieder nach Leeds gefahren. Dad findet, Hotels sind was für feine Pinkel.« Sie ließ die Rolle unterm Bett verschwinden. »Rutsch mal«, sagte sie und bugsierte ihn auf die kalte Bettseite. Er machte Platz, legte ihr etwas unbeholfen den Arm unter die Schultern und küsste sie versuchsweise auf den Hals. Sie zog das Kinn ein, um ihn anzusehen.
»Dex?«
»Hm.«
»Lass uns nur kuscheln, ja?«
»Klar doch. Wenn du möchtest«, sagte er galant, obwohl Kuscheln überhaupt nicht sein Ding war. Das war was für Großtanten und Teddybären. Vom Kuscheln bekam er einen Krampf. Besser, er gab sich geschlagen und trat schnellstmöglich den Rückzug an, aber sie legte ihm besitzergreifend den Kopf
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