Zwei an Einem Tag
auf die Schulter, und so blieben sie eine Zeitlang steif und befangen liegen, bis sie sagte: »Unfassbar, dass ich ›kuscheln‹ gesagt habe. Scheiße auch – kuscheln . Entschuldige.«
Er lächelte. »Schon okay. Wenigstens wars nicht knuddeln .«
» Knuddeln ist übel.«
»Oder schmusen .«
» Schmusen ist grausam. Schwören wir feierlich, nie, nie zu schmusen «, sagte sie und bereute die Bemerkung sofort. Was, miteinander? Eher unwahrscheinlich. Sie schwiegen wieder. In den letzten acht Stunden hatten sie geredet und geknutscht, und beide verspürten die tiefe, körperliche Erschöpfung, die bei Sonnenaufgang einsetzt. Im überwucherten Garten hinter dem Haus sangen die Amseln.
»Ich mag das Geräusch«, murmelte er in ihr Haar. »Amseln bei Sonnenaufgang.«
»Ich hasse es. Gibt mir das Gefühl, was getan zu haben, das ich bereuen werde.«
»Deshalb mag ich es ja«, sagte er in dem erneuten Versuch, düster und charismatisch zu klingen. Kurz darauf fügte er hinzu: »Hast du das denn?«
»Was?«
»Etwas getan, das du bereuen wirst?«
»Du meinst, das hier?« Sie drückte ihm die Hand. »Oh, ich schätze schon. Weiß ich noch nicht, oder? Frag mich morgen noch mal. Und du?«
Er küsste sie aufs Haar. »Natürlich nicht«, sagte er und dachte: Das darf nie, nie wieder vorkommen .
Zufrieden schmiegte sie sich enger an ihn. »Wir sollten schlafen.«
»Wozu? Morgen steht nichts an. Keine Abgabetermine, keine Arbeit …«
»Nur der Rest unseres Lebens«, sagte sie schläfrig, atmete seinen wunderbar warmen, muffigen Geruch ein, während ihr bei dem Gedanken an ein unabhängiges Erwachsenenleben ein unbehaglicher Schauder über den Rücken kroch. Emma fühlte sich nicht erwachsen. Sie war völlig unvorbereitet. Es war, als wäre mitten in der Nacht ein Feueralarm losgegangen und sie stehe mit einem Kleiderbündel im Arm auf der Straße. Was sollte sie nach der ganzen Lernerei jetzt tun? Was sollte sie mit ihrer Zeit anfangen? Sie hatte nicht die leiseste Ahnung.
Der Trick ist, sagte sie sich, mutig und unerschrocken zu sein und etwas zu verändern. Vielleicht nicht gleich die ganze Welt, nur das kleine Stück um dich herum. Geh da raus mit deinem Doppeleinserabschluss, deiner Leidenschaft und der neuen, elektrischen Smith-Corona-Schreibmaschine und arbeite hart … woran auch immer. Vielleicht das Leben mithilfe der Kunst zu verändern. Schreib etwas Schönes. Kümmer dich um deine Freunde, bleib deinen Prinzipien treu, leb dein Leben gut, leidenschaftlich und in vollen Zügen. Mach neue Erfahrungen. Liebe und werde geliebt, wenn es irgendwie geht. Iss vernünftig. Etwas in der Richtung.
Das war zwar keine berauschende Lebensphilosophie und bestimmt keine, die sie jemandem mitteilen konnte, am allerwenigstem diesem Mann hier, aber sie glaubte daran. Und bislang waren die ersten paar Stunden ihres unabhängigen Erwachsenenlebens doch ganz in Ordnung gewesen. Vielleicht fand sie ja am nächsten Morgen, nach Tee und Aspirin, den Mut, ihn wieder ins Bett zu bitten. Bis dahin wären sie wieder nüchtern, was die Sache nicht erleichterte, aber vielleicht würde es ihr ja Spaß machen. Die wenigen Male, die Emma mit Jungs ins Bett gegangen war, hatte sie entweder einen Kicheranfall bekommen oder war in Tränen ausgebrochen, und es wäre nett, mal irgendwas dazwischen zu erleben. Sie fragte sich, ob noch Kondome im Senfglas waren. Wahrscheinlich schon, zumindest waren noch welche da gewesen, als sie das letzte Mal nachgeschaut hatte: Februar 1987, Vince, ein Chemieingenieur mit behaartem Rücken, der sich mit ihrem Kissenbezug die Nase geputzt hatte. Zauber der Liebe …
Draußen wurde es hell. Dexter sah das rötliche Licht durch die dicken Wintervorhänge schimmern, die zum Inventar gehörten. Um sie nicht zu wecken, streckte er vorsichtig den Arm aus, ließ die Zigarettenkippe in eine Tasse Wein fallen und starrte an die Decke. An Schlaf war nicht zu denken. Stattdessen würde er Muster in das graue Artex knibbeln, bis sie fest eingeschlafen war, und sich dann klammheimlich davonstehlen.
Wenn er sich jetzt vom Acker machte, würde er sie allerdings nie wieder sehen. Ob es ihr etwas ausmachen würde? Vermutlich schon, das war meistens so. Und er? Vier Jahre lang war er problemlos ohne sie ausgekommen. Bis zur gemeinsamen Nacht hatte er geglaubt, sie hieße Anna, und trotzdem hatte er auf der Party nicht den Blick von ihr abwenden können. Warum war sie ihm erst jetzt aufgefallen? Er betrachtete ihr
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