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Zwei an Einem Tag

Zwei an Einem Tag

Titel: Zwei an Einem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Nicholls
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Gesicht, während sie schlief.
    Emma war hübsch, aber das schien sie zu ärgern. Ihr rot gefärbtes Haar war fast fahrlässig schlecht geschnitten, vermutlich tat sie es selbst vor einem Spiegel oder ließ das von Tilly Dingsbums erledigen, ihrer lauten, stämmigen Mitbewohnerin. Die leicht aufgedunsene, blasse Haut verriet, dass sie zu viel Zeit in Bibliotheken oder beim Biertrinken in Pubs verbrachte, und die Brille ließ sie spröde und eulenhaft wirken. Das Kinn sah weich und leicht mollig aus, aber das war vielleicht nur Babyspeck (oder durfte man »mollig« und »Babyspeck« heute nicht mehr sagen, so, wie man ihr nicht sagen konnte, dass sie geile Brüste hatte, ohne dass sie ausrastete, selbst wenn es stimmte).
    Egal, zurück zu ihrem Gesicht. Die Spitze ihrer hübschen, kleinen Nase glänzte leicht fettig, und sie hatte ein paar winzige rote Pickel auf der Stirn, aber ansonsten ließ sich nicht leugnen, dass – nun, ihr Gesicht war hinreißend. Sie hatte die Augen geschlossen, und er konnte sich nicht an die genaue Farbe erinnern, nur, dass sie groß und leuchtend waren und Humor verrieten; wie die beiden ausgeprägten Lachfältchen um den breiten Mund, die sich noch vertieften, wenn sie lächelte, was sie anscheinend oft tat. Glatte, rosige, einladend warm aussehende Wangen. Die ungeschminkten, weichen, himbeerroten Lippen, die sie beim Lächeln fest zusammenpresste, vielleicht um die Tatsache zu verbergen, dass ihre Zähne einen Tick zu groß waren oder dass ein Stück des Schneidezahns abgebrochen war: All das erweckte den Eindruck, als unterdrückte sie ein Lachen, eine kluge Bemerkung oder irgendeinen tollen, geheimen Witz.
    Wenn Dexter jetzt abhaute, würde er dieses Gesicht möglicherweise nie wieder sehen, außer vielleicht in zehn Jahren bei irgendeinem schrecklichen Jahrgangstreffen. Sie hätte zugenommen, wäre desillusioniert und würde ihm vorwerfen, dass er sich ohne Abschied davongestohlen hatte. Besser, er verdrückte sich heimlich und mied Jahrgangstreffen. Immer vorwärts, kein Blick zurück. Da draußen gab es noch jede Menge andere Gesichter.
    Als er sich gerade entschieden hatte, verzog sie den Mund zu einem breiten Lächeln und sagte mit geschlossenen Augen:
    »Und, was hältst du davon, Dex?«
    »Wovon, Em?«
    »Uns beiden. Ist es die große Liebe, was meinst du?«, und sie lachte leise mit fest geschlossenen Lippen.
    »Schlaf einfach, ja?«
    »Dann hör auf, mich anzustarren.« Sie öffnete die Augen, die blaugrün, strahlend und scharfsinnig waren. »Welcher Tag ist morgen?«, murmelte sie.
    »Du meinst heute?«
    »Heute. Der strahlende, neue Tag, der uns erwartet.«
    »Es ist Freitag. Freitag, den ganzen Tag. Der Tag des heiligen Swithin, um genau zu sein.«
    »Was für ein Tag?«
    »Alte Bauernregel. Wenns heute regnet, regnet es noch 40 Tage weiter, den ganzen Sommer oder irgendwas in der Richtung.«
    Sie runzelte die Stirn. »Das ergibt keinen Sinn.«
    »Soll es ja auch nicht. Es ist ein Aberglaube.«
    »Wo soll es denn regnen? Es regnet doch immer irgendwo.«
    »Auf St. Swithins Grab. Es liegt vor der Kathedrale von Winchester.«
    »Woher weißt du das?«
    »Ich bin da zur Schule gegangen.«
    »Nobel geht die Welt zugrunde«, murmelte sie ins Kissen.
    »›Gibts Regen am St.-Swithins-Tag, Dingsda dumdidum nicht enden mag.‹«
    »Wie poetisch.«
    »Na ja, war ein freies Zitat.«
    Sie lachte wieder und hob schläfrig den Kopf. »Dex?«
    »Em?«
    »Was, wenn es heute nicht regnet?«
    »M-hm.«
    »Hast du schon was vor?«
    Sag ihr, du hast keine Zeit.
    »Nichts Besonderes«, antwortete er.
    »Hast du Lust, was zu unternehmen? Mit mir, meine ich?«
    Warte, bis sie schläft, und zieh Leine.
    »Ja. Geht klar«, sagte Dexter. »Lass uns was unternehmen.«
    Emma ließ den Kopf wieder aufs Kissen sinken. »Ein ganz neuer Tag«, murmelte sie.
    »Ein ganz neuer Tag.«

KAPITEL ZWEI
Zurück ins Leben
    Samstag, 15. Juli 1989

Wolverhampton und Rom
MädchenUmkleideraum
Stoke-Park-Gesamtschule
Wolverhampton
15. Juli 1989
Ciao, Bello!
Wie gehts dir? Und wie ist Rom? Die Ewige Stadt mag ja ganz nett sein, aber ich bin jetzt erst seit zwei Tagen in Wolverhampton, und es kommt mir schon wie eine Ewigkeit vor (obwohl ich zugeben muss, der hiesige Pizza Hut ist ausgezeichnet, ganz ausgezeichnet).
Seit wir uns das letzte Mal gesehen haben, habe ich beschlossen, den Job bei der Sledgehammer-Theater-Genossenschaft anzunehmen, von dem ich dir erzählt habe, und in den letzten vier Monaten haben wir

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