Zwei an Einem Tag
Pommes anbietet. Nachdem er sich einen Parkplatz gesucht hat, nimmt er das Päckchen vom Beifahrersitz und betritt den großen, vertrauten Raum, der nach Möbelpolitur und abgestandenem Rauch riecht. Lässig an die Bar gelehnt bestellt sich Dexter ein Bier und einen doppelten Wodka Tonic. Den Barmann kennt er aus den frühen 80ern, als er mit seinen Kumpels zum Saufen herkam. »Ich war früher oft hier«, sagt Dexter gesprächig. »Ist wahr?«, erwidert der hagere, unglücklich wirkende Mann. Falls der Barmann ihn wiedererkennt, verliert er kein Wort darüber. Mit einem Glas in jeder Hand marschiert Dexter zu einem Tisch und trinkt schweigend, das Päckchen vor sich liegend, ein Stück Fröhlichkeit in dem düsteren Raum. Während er sich umsieht, denkt er darüber nach, wie weit er es in den letzten zehn Jahren gebracht und was er alles erreicht hat – mit nicht mal 29 Jahren ist er ein bekannter TV-Moderator.
Manchmal kommt es ihm vor, als grenze die medizinische Wirkung von Alkohol an ein Wunder, denn keine zehn Minuten später trabt er munter zum Auto und hört wieder Musik, The Beloved zwitschern aus der Anlage. Er kommt so gut voran, dass er in weniger als zehn Minuten die Kiesauffahrt vor seinem Elternhaus erreicht hat, ein weitläufiges, abgeschiedenes Gebäude aus den Zwanzigerjahren, dessen Fassade mit falschem Fachwerk verziert ist, um es weniger modern, kantig und robust wirken zu lassen, als es ist. Ein komfortables, nettes Einfamilienhaus in den Chiltern Hills. Dexter fürchtet den Anblick.
Mit einer Tasse Tee in der Hand steht sein Vater schon an der Tür, als wäre er seit Jahren da. Für Juli ist er zu warm angezogen, und ein Hemdzipfel hängt ihm aus dem Pullover. Früher kam er Dexter wie ein Riese vor, aber jetzt wirkt er gebeugt und ausgelaugt, das lange Gesicht ist während der sechs Monate, in denen sich der Zustand seiner Frau verschlechtert hat, blass, verhärmt und faltig geworden. Er hebt die Tasse zum Gruß. Einen Augenblick sieht Dexter sich mit den Augen seines Vaters und windet sich vor Scham über sein glänzendes Hemd, die rasante Art, den kleinen Sportwagen zu fahren, das verwegene Bremsgeräusch, als er auf dem Kiesweg zum Stehen kommt, und die Chill-out-Musik aus der Stereoanlage.
Ausgechillt.
Idiot.
High auf E.
Lackaffe.
Zugedröhnt, du aufgedonnerte Witzfigur.
Er macht den CD-Spieler aus, zieht die herausnehmbare Stereoanlage aus dem Armaturenbrett und starrt sie kurz an. Ganz ruhig, du bist in den Chiltern Hills, nicht in Stockwell. Dein Vater wird dir wohl kaum die Stereoanlage klauen. Reiß dich zusammen. Sein Vater steht immer noch im Türrahmen und prostet ihm noch einmal mit der Tasse zu. Seufzend greift Dexter nach dem Geschenk auf dem Beifahrersitz, konzentriert sich so gut wie möglich und steigt aus.
»Lächerliches Gefährt«, sagt sein Vater missbilligend.
»Du musst es ja nicht fahren, oder?« Das alte Spiel vom gestrengen, spießigen Vater und dem verantwortungslosen, großspurigen Sohn beruhigt Dexter.
»Ich pass da sowieso nicht rein. Kinderspielzeug. Wir haben dich schon vor geraumer Zeit erwartet.«
»Wie gehts dir, Dad?«, fragt Dexter in einem plötzlichen Anfall von Zuneigung für seinen alten Vater, legt unwillkürlich den Arm um ihn, tätschelt ihm den Rücken und drückt ihm einen peinlichen Schmatzer auf die Wange.
Beide erstarren.
Dexter hat sich einen Bussireflex angewöhnt. Er hat seinem Vater ein »Mmmmoi« ins haarige Ohr gehaucht. Unbewusst hat er das Gefühl, wieder mit Gibbsy, Tara und Spex unter den Bahnbögen zu stehen. Er spürt den feuchten Speichel auf der Lippe und sieht, wie sein Vater konsterniert mit alttestamentarischem Blick auf ihn herabsieht. Söhne, die ihre Väter küssen – ein Naturgesetz ist gebrochen worden. Noch nicht ganz im Haus, und schon ist die Illusion von Nüchternheit dahin. Sein Vater rümpft die Nase – entweder vor Ekel, oder weil er den Atem seines Sohnes gerochen hat, wobei Dexter nicht weiß, was schlimmer ist.
»Deine Mutter ist im Garten. Sie hat den ganzen Vormittag auf dich gewartet.«
»Und wie gehts ihr?«, fragt er. Vielleicht sagt er ja »viel besser«.
»Sieh selbst. Ich setze Wasser auf.«
Der Flur ist nach dem grellen Sonnenlicht angenehm dunkel und kühl. Seine ältere Schwester Cassie kommt mit einem Tablett aus dem Garten ins Haus, und ihr Gesicht glüht förmlich vor Kompetenz, gesundem Menschenverstand und Frömmigkeit. Mit 34 hat sie sich mit der Rolle der gestrengen
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