Zwei an Einem Tag
sich zu öffnen und ein müheloses Einvernehmen zu erreichen. Er und seine Mutter sind sich immer nah gewesen, waren immer offen zueinander, aber das gewohnte Einvernehmen ist Bitterkeit, Groll und Wut darüber, was mit ihr geschieht, gewichen. Begegnungen, die eigentlich liebevoll und tröstlich sein sollten, enden mit Gezänk und gegenseitigen Beschuldigungen. Vor acht Stunden hat er völlig fremden Menschen sein Herz ausgeschüttet, und jetzt kann er nicht mal mehr mit seiner eigenen Mutter reden. Da stimmt doch etwas nicht.
»Tja. Ich hab mir letzte Woche abfeiern angeschaut«, sagt sie.
»Ach ja?«
Sie schweigt, deshalb fügt er hinzu: »Und, wie hats dir gefallen?«
»Ich fand dich sehr gut. Sehr natürlich. Du wirkst ganz gut vor der Kamera. Aber wie gesagt, die Sendung gefällt mir nicht besonders.«
»Na ja, sie ist ja auch nicht für Leute wie dich gedacht, oder?«
Sie stößt sich an der Bemerkung und dreht gebieterisch den Kopf. »Was soll das heißen, Leute wie ich?«
Nervös fährt er fort: »Ich meine, es ist nur eine alberne Spätprogrammsendung, mehr nicht. Für Leute, die aus dem Pub kommen …«
»Du meinst, ich war nicht betrunken genug, um Spaß daran zu haben?«
»Nein …«
»Ich bin nicht verklemmt, ich habe kein Problem mit anstößigen Sachen, ich verstehe nur nicht, warum es plötzlich nötig sein soll, ständig Leute zu erniedrigen …«
»Niemand wird erniedrigt, ehrlich, ist doch nur Spaß …«
»Ihr habt einen Wettbewerb, die hässlichste Freundin von Großbritannien zu finden – das findest du nicht erniedrigend?«
»Eigentlich nicht, nein …«
»Männer zu bitten, Fotos von ihren hässlichen Freundinnen zu schicken …«
»Ist doch nur Spaß, schließlich lieben diese Typen sie, obwohl sie nicht … im herkömmlichen Sinn attraktiv sind, darum geht es doch, es ist nur Spaß!«
»Du wiederholst ständig, dass es nur Spaß ist, wen willst du damit überzeugen, mich oder dich selbst?«
»Lass uns von was anderem reden, ja?«
»Und glaubst du, den Freundinnen macht das Spaß, den ›Schabracken‹ …«
»Mum, ich sage doch nur die Bands an, mehr nicht. Ich frage Popstars nach ihren aufregenden neuen Videos, das ist mein Job. Es ist ein Mittel zum Zweck.«
»Aber zu welchem Zweck, Dexter? Wir haben dich immer darin bestärkt, dass du alles tun kannst, was du willst. Ich hätte nur nicht gedacht, dass es das ist.«
»Was soll ich denn deiner Meinung nach tun?«
»Keine Ahnung; irgendwas Gutes .« Abrupt legt sie sich die linke Hand auf die Brust und lehnt sich zurück.
Kurz darauf sagt er: »Es ist nicht schlecht. An sich.« Sie rümpft die Nase. »Es ist nur eine dumme Unterhaltungssendung, und natürlich mag ich auch nicht alles, was dazugehört, aber es ist eine Erfahrung, ein Sprungbrett. Außerdem finde ich, dass ich meine Sache gut mache, was immer das wert sein mag. Außerdem machts mir Spaß.«
Nach einer Pause sagt sie: »Tja, dann musst du es wohl tun. Du musst tun, was dir Spaß macht. Und ich weiß, du wirst irgendwann was anderes machen, es ist nur …«, und sie nimmt seine Hand, ohne den Gedanken zu beenden. Dann lacht sie kurzatmig: »Ich verstehe nur nicht, warum du dich als Cockney ausgeben musst.«
»Ich nenne es meine ›Stimme des Volkes‹«, sagt er, und sie lächelt, sehr schwach, aber er klammert sich daran.
»Wir sollten nicht streiten«, sagt sie.
»Wir streiten nicht, wir diskutieren«, sagt er in dem Wissen, dass sie es sehr wohl tun.
Sie fasst sich an die Stirn. »Ich kriege Morphium. Manchmal weiß ich nicht, was ich sage.«
»Du hast doch gar nichts gesagt. Außerdem bin ich selbst etwas angeschlagen.« Die Sonne brennt auf den Bodenplatten, und er fühlt förmlich, wie sie ihm glühend heiß Gesicht und Unterarme versengt, als wäre er ein Vampir. Der Schweiß bricht ihm aus, und ihm wird übel. Bleib ruhig, sagt er sich. Alles nur Chemie.
»Spät geworden?«
»Ziemlich.«
»Abgefeiert, was?«
»Ein bisschen.« Er reibt sich die Schläfen, um Kopfschmerzen anzudeuten, und bemerkt gedankenlos: »Du hast nicht zufällig etwas Morphium übrig, oder?«
Sie sieht ihn nicht einmal an. Ein Augenblick verstreicht. In letzter Zeit ist ihm aufgefallen, dass er immer mehr verblödet. Sein Entschluss, einen klaren Kopf zu bewahren und auf dem Boden zu bleiben, ist fehlgeschlagen, und ganz objektiv betrachtet wird er immer gedankenloser, selbstsüchtiger und macht mehr und mehr dämliche Bemerkungen. Genau das wollte er verhindern,
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