Zwei an Einem Tag
Minuten Verspätung, aber das gehörte wohl zum exquisiten Katz-und-Maus-Spiel eines Dates. Nun, sollten die Spiele beginnen. Er tunkte das Ciabatta in das kleine Olivenölschälchen wie einen Pinsel und schlug die Speisekarte auf, um auszurechnen, was er sich leisten konnte.
Das Leben als Stand-up-Komiker hatte das Versprechen von Reichtum und Fernsehprominenz bisher noch nicht eingelöst. Das Feuilleton verkündete, Comedy sei der neue Rock ’n’ Roll, aber warum musste er sich dann immer noch abrackern, um dienstagabends einen Platz auf der offenen Bühne im Sir Laffalot zu ergattern? Er hatte sein Programm dem Zeitgeschmack angepasst, politisches Material und Alltagskomik reduziert und Charakterkomik, Surrealismus, lustige Lieder und Sketche ausprobiert. Nichts schien die Leute zum Lachen zu bringen. Ein Abstecher in kontroversere Komikgefilde hatte ihm Tritte und Schläge eingebracht, und sein Gastspiel bei einer Improtheatertruppe an einem Sonntagabend hatte nur bewiesen, dass er auf völlig spontane Art nicht komisch sein konnte. Trotzdem war er unermüdlich weitergezogen, die Northern Line rauf und runter und Runde um Runde um die Circle Line, immer auf der Suche nach den großen Lachern.
Vielleicht eignete sich der Name »Ian Whitehead« schlecht für Leuchtschriftzüge. Er hatte sogar schon überlegt, sich ein jungenhaftes Pseudonym zuzulegen, etwas Kurzes und Knackiges – Ben, Jack oder Malt –, aber bis er seine Linie fand, arbeitete er bei Sonicotronics, einem Elektrowarengeschäft in der Tottenham Court Road, wo kränklich aussehende junge Männer in T-Shirts anderen kränklich aussehenden jungen Männern in T-Shirts CD-ROMs und Grafikkarten verkauften. Die Bezahlung war zwar nicht berauschend, aber wenigstens waren die Abende frei für Auftritte, und er konnte neues Material häufig mit großem Erfolg an den Kollegen testen.
Und das Beste, das Allerbeste an Sonicotronics war, dass ihm in der Mittagspause Emma Morley über den Weg gelaufen war. Er hatte vor einer Scientology-Niederlassung gestanden und hin und her überlegt, ob er den Persönlichkeitstest machen sollte, und als er sie, halb verborgen hinter einer riesigen Korbwäschetruhe, entdeckt und in den Arm genommen hatte, erstrahlte die Tottenham Court Road im neuen Glanz eines Boulevards der Träume.
Es war ihr zweites Date, und jetzt saß er hier in einem eleganten, modernen italienischen Restaurant einen Katzensprung von Covent Garden entfernt. Ian mochte pikantes, scharfes, salziges und knuspriges Essen, und ihm persönlich hätte ein Stopp beim Curryimbiss gereicht. Allerdings war er im Hinblick auf die Kapricen des weiblichen Geschlechts bewandert genug, um zu wissen, dass sie frisches Gemüse erwarten würde. Wieder sah er auf die Uhr – zwanzig Minuten Verspätung – und verspürte ein sehnsüchtiges Ziehen in der Magengrube, das teils von Hunger und teils von Liebe herrührte. Schon seit Jahren waren ihm Herz und Magen schwer vor Liebe zu Emma Morley, keine rein sentimentale, platonische Liebe, sondern auch körperliche Begierde. Selbst nach all den Jahren bekam er ein Bild nicht aus dem Kopf, das ihn wohl bis an sein Lebensende verfolgen würde: Emma, die in zusammengewürfelter Unterwäsche, von einem nachmittäglichen Sonnenstrahl beschienen wie vom Licht in einer Kathedrale, im Personalraum des Loco Caliente steht und ihn anschreit, er solle sich verziehen und die Scheißtür hinter sich zumachen.
Ohne zu ahnen, dass Ian gerade über ihre Unterwäsche nachdachte, stand Emma Morley im Empfangsbereich, beobachtete ihn, und ihr fiel auf, dass er um Klassen besser aussah als früher. Die dichten, blonden Locken waren jetzt kurz geschnitten und mit etwas Gel geglättet, und er sah nicht mehr aus wie ein Landei, das sich in die Stadt verirrt hat. Bis auf die schrecklichen Klamotten und den offenen Mund war er eigentlich ganz attraktiv.
Obwohl die Situation für sie ungewohnt war, erkannte sie das Restaurant als klassischen Rendezvous-Treff – gerade teuer genug, nicht zu hell, nicht protzig, aber auch nicht billig, die Art von Lokal, wo Pizza mit Rucola serviert wird. Das Restaurant war etwas klischeehaft, aber nicht lächerlich, und immerhin gab es kein Curry oder, Gott bewahre, Fischburritos. Es gab Palmen und Kerzen, und im Nebenraum saß ein älterer Mann an einem Flügel und spielte die beliebtesten Gershwin-Songs: I hope that he/turns out to be/someone to watch over me.
»Sind Sie verabredet?«, fragte der
Weitere Kostenlose Bücher