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Zwei an Einem Tag

Zwei an Einem Tag

Titel: Zwei an Einem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Nicholls
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bleibt …« Er stockt, senkt den Blick, sucht nach den richtigen Worten und sieht ihn an. »Dexter, wenn du deine Mutter noch einmal in dem Zustand besuchst, kommst du mir nicht ins Haus, das schwöre ich dir. Ich lass dich nicht durch die Tür. Ich schlag sie dir vor der Nase zu. Das ist mein voller Ernst.«
    Dexter macht den Mund auf, bringt aber kein Wort heraus.
    »So. Fahr jetzt bitte nach Hause.«
    Dexter will die Tür zumachen, aber sie schließt nicht richtig. Er kann sie gerade noch zuschlagen, bevor sein Vater aufgebracht mit einem Ruck anfährt, zurücksetzt und davonbraust. Dexter sieht ihm nach.
    Der ländliche Bahnhof ist wie leergefegt. Auf dem Bahnsteig hält er Ausschau nach dem guten alten Münztelefon, das er als Teenager immer für seine Fluchtpläne benutzt hat. Es ist 18:59 Uhr. Der Zug nach London kommt in sechs Minuten, aber vorher hat er noch einen Anruf zu erledigen.
    Um 19 Uhr wirft Emma einen letzten Blick in den Spiegel, um sich zu vergewissern, dass es nicht aussieht, als hätte sie sich Mühe gegeben. Der Spiegel lehnt gefährlich schräg an der Wand, und sie weiß, das Spiegelbild ist verkürzt wie bei einem Zerrspiegel, trotzdem schnalzt sie beim Anblick ihrer Hüfte und der kurzen Beine unter dem Jeansrock mit der Zunge. Eigentlich ist es zu warm für Strumpfhosen, aber sie findet die roten Druckstellen an ihren Knien so unansehnlich, dass sie trotzdem welche trägt. Ihr frischgewaschenes Haar riecht nach sogenannten Waldfrüchten, fällt in einem locker-duftigen »Cut«, und sie zerzaust es mit den Fingerspitzen und wischt sich dann mit dem kleinen Finger überflüssigen Lippenstift aus dem Mundwinkel. Ihre Lippen sind sehr rot, und sie fragt sich, ob sie es nicht übertrieben hat. Wahrscheinlich passiert sowieso nichts, sie ist bestimmt um halb elf wieder zu Hause. Sie trinkt den Rest eines großen Wodka Tonic, verzieht das Gesicht, als er sich mit dem Zahnpastageschmack vermischt, nimmt die Schlüssel, lässt sie in ihre gute Handtasche fallen und macht die Tür zu.
    Das Telefon klingelt.
    Sie ist schon halb den anonymen Flur hinunter, als sie es hört. Sie überlegt kurz, zurückzurennen und abzunehmen, aber sie ist spät dran, und wahrscheinlich ist sowieso nur ihre Mutter oder Schwester dran, um zu fragen, wie das Vorstellungsgespräch gelaufen ist. Am Flurende hört sie den Fahrstuhl aufgehen. Sie läuft los, um ihn noch zu erwischen, und die Tür schließt sich im selben Moment, als sich der Anrufbeantworter einschaltet.
    »… hinterlassen Sie eine Nachricht nach dem Signalton und ich rufe Sie zurück.«
    »Hi, Emma, hier spricht Dexter. Was wollte ich sagen? Tja, ich bin am Bahnhof in der Nähe meiner Eltern, ich war bei Mum und … und ich hab mich gefragt, was du heute Abend machst. Ich habe Karten für die Premiere von Jurassic Park ! Den Film haben wir wohl verpasst, aber wie wärs mit der Premierenparty? Du und ich? Prinzessin Di kommt auch. Na ja, ich schwafle nur rum, für den Fall, dass du da bist. Nimm ab, Emma. Nimm ab, nimm ab, nimm ab, nimm ab. Nein? Okay, mir ist gerade eingefallen, du hast ja heute ein Date, stimmts? Ein heißes Date. Tja, dann – viel Spaß, ruf mich an, wenn du nach Hause kommst, falls du nach Hause kommst. Erzähl mir, wies gewesen ist. Im Ernst, ruf mich sobald wie möglich zurück.«
    Er stockt, holt Luft und sagt:
    »Was für ein Scheißtag, Em«, wieder stockt er, »ich hab grad was ganz Schreckliches getan.« Er sollte auflegen, will aber nicht. Er will Emma Morley sehen, ihr seine Sünden beichten, aber sie hat ein Date. Er verzieht das Gesicht zu einem Grinsen und sagt: »Ich ruf dich morgen an. Ich will alle schmutzigen Details hören! Herzensbrecherin, du.« Er legt auf. Herzensbrecherin, du.
    Die Schienen rattern, und er hört das Rauschen des herannahenden Zuges, kann aber nicht einsteigen, nicht in dem Zustand. Er muss den nächsten abwarten. Der Zug fährt ein, scheint höflich zischend auf ihn zu warten, aber Dexter bleibt im Schutz der Plastikverschalung des Münztelefons stehen, spürt, wie er die Fassung verliert, der Atem immer flacher und gepresster wird, und als ihm die Tränen in die Augen schießen, sagt er sich, das ist alles nur Chemie, Chemie, Chemie.

KAPITEL SIEBEN
Mann mit Sinn für Humor gesucht
    Donnerstag, 15. Juli 1993
Teil zwei: Emmas Geschichte
    Covent Garden und King’s Cross
    Ian Whitehead saß allein an einem Tisch für zwei in der Forelli’s-Filiale am Covent Garden und sah auf die Uhr: fünfzehn

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